Am 12. Juni 2024 hat der Bundestag den „Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – Queer leben“ beraten. Ein wesentlicher Bestandteil des Aktionsplans ist die Stärkung der Erinnerungskultur sowie Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt, Übergriffen und Anfeindungen.

Zur Erinnerungskultur heißt es darin:

„Die Verfolgung homo- und bisexueller Männer und Frauen, insbesondere in der NS-Zeit, aber auch ihre Kontinuität in der BRD und der DDR, sind nicht ausreichend erforscht. Zur Geschichte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen gibt es kaum Forschung. Aber auch die Dokumentation und damit das Sichtbarmachen sowohl der LSBTIQ*-Emanzipationsgeschichte im Allgemeinen als auch der Lebens- und Leidensgeschichten von einzelnen LSBTIQ* ist ein wichtiges politisches Zeichen für die Anerkennung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und trägt zur Förderung einer Erinnerungskultur bei.“

Zum Thema Sicherheit wird ausgeführt:

„In Deutschland sind Gewalttaten, Übergriffe und Anfeindungen gegen LSBTIQ* sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum keine Seltenheit. Für die Betroffenen bedeutet das eine erhebliche Belastung sowie Einschränkung von Freiheit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Für besonders vulnerable Personengruppen, wie gewaltbetroffene LSBTIQ* mit Behinderungen, fehlen häufig Hilfestrukturen, die auf die besonderen Beratungsbedarfe ausgerichtet sind. Ziel der Regierungskoaltion ist es, (…) LSBTIQ* vor Gewalt, Übergriffen und Anfeindungen zu schützen (…) und Opfer besser zu unterstützen (…).“

Wir veröffentlichen im Folgenden kurze Auszüge einzelner Redebeiträge der Bundestagsdebatte. Das Protokoll der gesamten Debatte ist hier zu finden.

Sven Lehmann, Beauftrager der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, erklärte:

„Vor genau 30 Jahren wurde § 175 Strafgesetzbuch endgültig abgeschafft. Damit endete ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte, unter dem Generationen vor allem homo- und bisexueller Menschen gelitten haben. Ihre Liebe wurde staatlich verfolgt, sie mussten sich verstecken, sie riskierten ihren Arbeitsplatz. Zehntausende wurden inhaftiert, viele davon in den Suizid getrieben. Ich denke, dass ich auch in ihrem Namen spreche, wenn ich sage: So etwas darf in Deutschland nie wieder passieren! (…)
Bei diesen CSDs geht es nicht, wie manchmal behauptet wird, um Sonderrechte einer Minderheit, sondern es geht um grundlegende Menschenrechte für alle Menschen, nämlich das Recht, selbstbestimmt zu leben und zu lieben, und zwar frei von Diskriminierung und Anfeindungen.“

Zum 30. Jahrestag der Abschaffung des §175 StGB merkte auch Mareike Lotte Wulf (CDU/CSU) an:

„Lassen Sie mich direkt zu Beginn ein paar kurze persönliche Sätze zum gestrigen 30. Jahrestag der Abschaffung des § 175 StGB sagen. Es ist schlimm genug, dass die Strafbarkeit von Homosexualität in der Bundesrepublik bis 1969 vollumfängliche Rechtslage war und § 175 erst gestern vor 30 Jahren, im Jahr 1994, restlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Trotz oder gerade aufgrund dieser traurigen Vorgeschichte ist das gestrige Jubiläum ein Ereignis, das mich persönlich tief berührt. Denn es lässt nicht nur an das unsagbare Leid zurückdenken, das so viele Männer und Frauen in unserem Land in der Vergangenheit erfahren mussten, und zwar einzig und allein deshalb, weil sie liebten, wen sie liebten.

Anke Henning (SPD) setzte sich kritisch mit der Gefahr von rechts in Bezug zum Aktionsplan auseinander:

„Die rechten Kräfte sind nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern weltweit stärker geworden. (…) Sie bespielen international ihre Netze und Verbindungen (…). Sie nehmen aktiv Minderheiten wie etwa die queeren Menschen in den Fokus, um sie gegenüber der Gesellschaft zu instrumentalisieren, als ob Trans- und nicht binäre Menschen sie in ihren Rechten beschneiden oder ihnen etwas wegnehmen. Bewusst gestreute Desinformationen und Hetze führen dazu, dass Misstrauen gesät und negative Emotionen gegenüber Trans-, Inter- und nicht binären Personen aufgebaut werden. Sie versuchen mit allen Mitteln, die Zeit dahin zurückzudrehen, in der noch nicht mal die Rede von Gleichberechtigung von Mann und Frau war. (…) Gleiche Rechte für alle Menschen bedeuten nicht weniger Rechte für eine einzelne Person.“

Auch Jürgen Lenders (FDP) sprach von einer derzeitigen Umkehrbewegung, die uns beunruhigen sollte:

„Auch wenn die Menschen in Deutschland nach wie vor hinter der Gleichstellung von homosexuellen Paaren stehen, sehen wir doch, dass es zurzeit eine Umkehrbewegung gibt. Gewalt, Anfeindungen und auch Straftaten gegen queere Menschen nehmen in Deutschland mittlerweile zu. Das sollte uns alle miteinander beunruhigen. Es sollte uns auch beunruhigen, was wir alle schon als selbstverständlich gesehen haben: Jeder vierte Deutsche ist in Deutschland mittlerweile gegen die Ehe für alle. Das sollte uns echt zu denken geben. (…) Mich wundert es tatsächlich ein Stück weit auch, dass queere Menschen die AfD wählen. Aber queere Menschen sind halt nicht besser und nicht schlechter und nicht schlauer als der gesamte Durchschnitt der Bevölkerung. Aber es ist eine gute Gelegenheit gewesen, hier einmal an eine AfD-Forderung zu erinnern, wie die Ehe für alle abzuschaffen oder CSDs zu verbieten.“

Gökay Akbulut (Die Linke) merkte kritisch an:

„Die Koalition feiert das Selbstbestimmungsgesetz als Erfolg. Doch leider ist es vom Geist des Misstrauens gegenüber den Betroffenen geprägt. Außerdem ist die Ampel bei dem Anliegen, Schutz für queere Geflüchtete zu schaffen, gescheitert. Die Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland wird selbst von Ihrem eigenen Queer-Beauftragten scharf kritisiert. Zum 75. Jahrestag des Grundgesetzes verpasste die Ampel die Gelegenheit für eine Initiative, Artikel 3 des Grundgesetzes endlich auch um queere Menschen zu erweitern. Der Hass und die Gewalt gegen queere Menschen nehmen tagtäglich zu. Das Ziel, queere Menschen besser vor Übergriffen und Anfeindungen zu schützen, muss viel besser umgesetzt werden. Die Bundesregierung versprach 70 Millionen Euro jährlich, um Queerfeindlichkeit zu bekämpfen. Doch die angekündigten Gelder flossen nicht – jedenfalls nicht bis heute. Ein breites Bündnis aus LSVD und vielen anderen schrieb jetzt an die Bundesregierung: „Werden die hierin … aufgegriffenen Reformen nicht mit Nachdruck umgesetzt, droht“ der Aktionsplan „ein Feigenblatt zu werden“. Es ist daher an der Zeit, den Aktionsplan endlich mit Leben zu füllen.“

Mit welcher Demagogie Maßnahmen des Aktionsplan zur Stärkung der Erinnerungskultur und zum Schutz vor Gewalt abgelehnt werden, machte für die AfD Martin Reichhardt deutlich. Der Aktionsplan würde

„die traditionelle Familie zersetzen, Frauen und Kinder gefährden“

Er sprach davon, dass „junge Menschen und fleißige Arbeiter mehrheitlich die AfD gewählt“ hätten, die AfD die Zukunfts Deutschland sei, die anderen Politiker und Parteien abgewirtschaftet hätten und dass dies gut so sei. Die AfD-Bundestagsfraktion sprach sich in einem auch von Dr. Alice Weidel unterzeichneten Antrag dafür aus, keine der vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen. Sie diffamierte den Aktionsplan pauschal als einen „linksideologischen Angriff auf die traditionelle Familie (…) und das Wohl insbesondere von Kindern, Jugendlichen und Frauen“. Familienförderung bedeutet für sie, die Rechte von LSBTIQ* bzw. queeren Menschen wieder einzuschränken. Alle demokratische und humane Kräfte, insbesondere alle LGBTI*-Personen sollte dies wachrütteln!

Quelle: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw24-de-queer-leben-1006768
https://dserver.bundestag.de/btp/20/20174.pdf#P.22491