Von “Päderasten”, “Sodomiten”, “Homosexuellen” und “Schwulen”
– Fremd- und Selbstbezeichnungen mann-männlicher Liebes- und Sexualbeziehungen

Ralf Bogen

Mann-männliche Liebe und Sexualität waren und sind in allen Kulturen seit Bestehen der Menschheit vorzufinden. Ihr Ansehen in der Gesellschaft sowie die rechtliche Situation waren im Laufe der Geschichte großen Wandlungen unterworfen. Diese drücken sich auch in unterschiedlichen Fremd- und Selbstbezeichnungen aus:


Päderasten

In den antiken mesopotamischen, griechischen und römischen Sklavenhaltergesellschaften vor ca. sieben bis zwei tausend Jahren waren homosexuelle Kontakte weit verbreitet. Darauf weisen überlieferte Gedichte, Abbildungen auf Vasen sowie Wandmalereien mit Bildern mann-männlicher Liebesakte hin. Ob wir dabei von akzeptierter Homosexualität sprechen können, ist jedoch umstritten. Denn hier war oftmals ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem jungen Heranwachsenden im Alter zwischen 12 und ca. 18 Jahren und einem älteren Erwachsenen gegeben. Die erwachsenen Männer, die zeitlich begrenzte Beziehungen zu männlichen Heranwachsenden hatten, unterhielten in der Regel auch heterosexuelle Beziehungen. Die Festlegung eines Individuums auf eine bestimmte sexuelle Orientierung ist erst ein Ergebnis von Entwicklungen seit dem 18. Jahrhundert.

“Pädagoge” und “Jüngling”

Der Begriff “Päderast” ist ca. 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung in den griechischen Stadtstaaten entstanden. Das Wort setzt sich aus päidos für “Kind” und erastos für “Liebhaber” zusammen. Darunter wurde damals eine institutionalisierte Form von Homosexualität zwischen erwachsenen freien Männern und freien männlichen Heranwachsenden verstanden. Das Verhältnis sollte enden, wenn der “Jüngling” zum Mann herangereift war und damit ehefähig wurde. Ein pädagogischer Anspruch an diese Beziehung spielte dabei eine zentrale Rolle. Der ältere Liebhaber war für die intellektuelle, charakterliche und auch für die militärische Ausbildung seines Heranwachsenden verantwortlich. Demgegenüber konnten die Sklavenhalter mit weiblichen oder männlichen Sklaven nach eigenem Gutdünken und ohne jegliche Reglementierungen gegen- wie gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen ausführen. (1)

Im Gegensatz zu dieser vor allem in den griechischen Stadtstaaten praktizierten Form der gleichgeschlechtlichen Liebe war neben den heterosexuellen Beziehungen die gleichgeschlechtliche Liebe im antiken Makedonien zwischen freien Gleichaltrigen üblich und gesellschaftlich anerkannt. (2)

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Antike homoerotische Darstellung zwischen gleichaltrigen Männern in Paestum (Italien)
(Bildquelle: Siehe http://makedon.eu/homosexualitat-im-antiken-makedonien/- siehe (2))

Männlichere, mutigere Männer?

Die Mächtigen meinten damals, dass Männer, die einander zugetan waren, sich eher für den anderen einsetzen und mutiger kämpfen würden. Mann-männliche Liebes- und Sexualbeziehungen wurden zur Bildung von militärischen Eliteeinheiten in Sparta, Korinth und Kreta genützt. So gab es z. B. 378 vor unserer Zeitrechnung die Militäreinheit „Heilige Schar”, die ausschließlich aus homosexuellen Paaren bestanden haben soll. (3)

Warum der Begriff nicht übernommen wurde

Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff im deutschsprachigen Raum zunächst auch zur Bezeichnung von Homosexualität in anderen Beziehungsformen wie z. B. einer Partnerschaft zwischen zwei erwachsenen Männern benutzt. Da sich dieser Begriff nicht klar von Kindesmissbrauch und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen abgrenzt, lehnten die Männer der homosexuellen Emanzipationsbewegung im 19. Jahrhundert seine weitere Verwendung von Beginn an ab und ersetzten ihn durch Selbstbezeichnungen wie Urninge, Invertierte und / oder Homoeroten (siehe  “die 1920er Jahre: Aufbruch”).

Quellen:
1 Siehe Gotthard Feustel: Die andere Liebe – eine illustrierte Geschichte der Homosexualität, Leipzig 1995, S. 12ff.
2 Siehe hierzu ebenso http://makedon.eu/homosexualitat-im-antiken-makedonien/, zuletzt gesehen am 3.7.2016.
3 Siehe http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/homosexualitaet/index.html, zuletzt gesehen am 3.7.2016.


Sodomiten

Ca. 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurden in den fünf Büchern Mose homosexuelle Handlungen verdammt. Im dritten Buch Mose, in Leviticus 20,13, werden männerbegehrende Männer sogar mit der Todesstrafe bedroht. Dort heißt es: “Wenn ein Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben” (1)

Zum Ursprung der jüdischen, christlichen und moslemischen Ablehnung

Solche Aussagen aus Thora, Bibel und Koran bilden die Grundlage für die Jahrhunderte alte jüdische, christliche und moslemische Ablehnung von Homosexualität. Dies hat weltweit zu millionenfachem Leid durch Abwertung, Diffamierung, Ausgrenzung und Verfolgung beigetragen und tut dies in verschiedenen Ländern bis heute noch. An diese Tradition der Ausgrenzung und Verdammung konnten letztlich auch die Nationalsozialisten bei der Verfolgung homosexueller Männer erfolgreich anknüpfen und knüpfen rechtspopulistische und neonazistische Kräfte weiterhin an.

Untergang der Stadt Sodom

Die Bezeichnung “Sodomiten” ist angelehnt an die biblische Überlieferung der Geschehnisse in Sodom und Gomorrha, wo es zu schweren Sünden gekommen sei, weswegen der Herr – so wird berichtet – “Schwefel und Feuer […] vom Himmel herab” regnen ließ und damit den Untergang der Stadt Sodom verursachte (1. Buch Mose, 19, 24). Die Bezeichnung “Sodomiten” wurde jahrhundertelang zum Synonym für Homosexuelle. (2)

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Holzschnitt von Schnorr von Carolsfeld 1860: Lot flieht mit seinen Töchtern aus Sodom, seine Frau erstarrt zur Salzsäule.
(Bildquelle: siehe Gotthard Feustel: Die andere Liebe – eine illustrierte Geschichte der Homosexualität, Leipzig 1995, S. 32)
Quellen:
1 Siehe Bibelübersetzung: Luther Bibel 1984 – http://www.bibelwissenschaft.de/bibeltext/Lev%2020/, zuletzt gesehen am 10.9.2016.
2 Siehe Gotthard Feustel: Die andere Liebe – eine illustrierte Geschichte der Homosexualität, Leipzig 1995, S. 32ff.


Homosexuelle

Diese heute übliche und nicht mehr abwertende Bezeichnung erfand 1869 der österreichisch-ungarische Schriftsteller Karl Maria Benkert (Pseudonym: Karl Maria Kertbeny, 1824–1882). Sie setzt sich aus dem griechischen Wort homόs “gleich” und dem lateinischen Wort sexus “Geschlecht” zusammen. Problematisch ist die Endung “sexuell”, weil damit oftmals gleichgeschlechtlich empfindende Personen auf ihre Sexualität reduziert und Liebesempfindungen übersehen werden. In der Regel sind mit diesem Begriff männliche und seltener auch weibliche Homosexuelle gemeint.


Schwule

Dieses Wort wird auf “drückend heiß” im Sinne von “schwül” zurückgeführt und u. a. mit dem Hinweis auf “warme Brüder” sowie als Anspielung auf die Atmosphäre in einschlägigen Lokalen erklärt. “Schwul” wurde ursprünglich ausschließlich abwertend verwendet. Die homosexuelle Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre trat diesem abwertenden Charakter durch seinen trotzigen Gebrauch als Selbstbezeichnung entgegen. Das kann insofern heute als gelungen bewertet werden, als das Wort im deutschen Sprachgebrauch mittlerweile zum weitest verbreiteten, nicht mehr abwertend verwendeten Synonym für männliche Homosexuelle und zur häufigsten Selbstbezeichnung von und für männerliebende Männer wurde. Insbesondere die inzwischen berühmten Worte “Ich bin schwul – und das ist auch gut so” von Klaus Wowereit auf dem SPD-Sonderparteitag vom 10. Juni 2001 waren ein erfolgreicher Tabubruch, der zur nicht mehr abwertenden Verwendung dieser Bezeichnung erheblich beitrug. Allerdings findet das Wort “Schwule” in der Jugendsprache teilweise immer noch als Schimpfwort Verwendung und lehnen viele ältere homosexuelle Männer, die zwischen 1930 und 1969 aufgewachsen sind, die Verwendung dieser Bezeichnung noch immer ab.


 

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