Aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt: Das nationalsozialistische Frauenbild
Claudia Weinschenk
Die Zerstörung der Subkultur
Sofort nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten wurden die bislang geduldete Subkultur und Infrastruktur von Homosexuellen durch strengere Anwendung von Verordnungen durch die Polizei zerstört. Die bislang frei verkäuflichen Publikationen wurden am 24. Februar 1933 verboten. (14) Gaststätten, die als Treffpunkte von Homosexuellen bekannt waren, wurden ebenfalls bereits im Februar 1933 geschlossen. Untersuchungen in Berlin haben gezeigt, dass es einige Lesbenlokale noch bis 1940 gegeben hat. Vermutlich kontrollierte die Polizei dadurch die Szene. (15)
Diese Entwicklung läßt sich auch für Stuttgart anhand der Adressbücher nachvollziehen. Die bisherigen Wirte der BfM-Treffpunkte Gaststätte Sonnenhof und Gaststätte Zum Josephle mussten aufgeben, 1934 hatten neue Wirte die noch bestehenden Gaststätten übernommen. Das “Josephle” ist spätestens 1942 nicht mehr aufzufinden. In der relativ kleinen Stadt Stuttgart gab es vermutlich keine reinen Frauenbars. Neue Treffpunkte für Frauen sind bislang noch nicht recherchiert.
Nach der Strafrechtsnovelle vom 28. Juni 1935 (§ 2 StGB) konnte auch eine Tat bestraft werden, “die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient”. (16) Somit hatten Richter freie Hand, auch Frauen nach dem § 175 zu verurteilen. Untersuchungen, welche Folgen dies für den deutschen Südwesten hatte, stehen noch aus. Spätestens ab 1938 sammelte das Rassenpolitische Amt der NSDAP Namen und Adressen lesbischer Frauen. (17) Ob dies auch in unserem Gebiet stattfand und welche Konsequenzen sich für die registrierten Frauen daraus ergaben, ist bis heute nicht bekannt.
Das neue Regime hatte für alle Frauen gravierende Folgen. Die von der Frauenrechtsbewegung erkämpften und in der Weimarer Republik selbstverständlich gewordenen Errungenschaften wurden von den Nationalsozialisten weitgehend zerstört, das Rollenbild dem des 19. Jahrhunderts wieder angeglichen. Frauen wurden von politischen Gremien ausgeschlossen (im Stuttgarter Gemeinderat im Herbst 1933). Die Erwerbstätigkeit von Frauen sollte eingeschränkt werden. “Arische” Beamtinnen wurden, sofern sie verheiratet waren, aus dem Dienst entlassen. Heiratswillige (“arische”) Paare erhielten ein vergünstigtes “Ehestandsdarlehen”, sofern sich die Frau verpflichtete, nach ihrer Heirat nicht mehr zu arbeiten. Alleinige Aufgaben der Frau sollte nun wieder Ehe, Familie und Haushalt werden.
Widmung in: Helmuth Jahns, Das Delikt der Abtreibung im Landgerichtsbezirk Duisburg in der Zeit von 1910 bis 1935, Jena 1938
Höchstes Ziel im Leben einer Frau sollte Mutterschaft sein. Symptomatisch sind die Ehrenpatenschaften Hitlers und die Verleihung des Mutterkreuzes ab dem vierten Kind, natürlich nur für “reinrassig arische” Familien. Hintergrund ist im Rahmen der NS-Bevölkerungspolitik die Absicht des nationalsozialistischen Regimes, die “arische Rasse” zu vermehren. So wurden auch “rassisch und erbbiologisch wertvolle ledige Mütter” unterstützt, z.B. in den von Himmler 1935 ins Leben gerufenen “Lebensborn”-Heimen, die der SS unterstanden.
Als kontraproduktiv für die Bemühungen um Vermehrung des deutschen Volkes wurden auf der einen Seite männliche Homosexuelle angesehen, auf der anderen – weiblichen – Seite Schwangerschaftsabbrüche. 1936 wurde die “Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung” gegründet. Eine Statistik dieses Amts von 1938 zeigt die annähernd gleich große Anzahl von Fällen beider Delikte. Hier heißt es z. B.: “A. Abtreibung: insgesamt: 28.366 bearbeitete Fälle. […] B. Homosexualität: insgesamt 28.882 Beschuldigte. […]”. (18) Zur Bekämpfung beider Delikte wurden die entsprechenden Paragraphen: § 175 und § 218 verschärft.
Die Urteilsbegründung aus einem Verfahren gegen eine Frau, die zweimal versucht hat, eine Abtreibung an einer Kundin vorzunehmen – vergeblich: Das Mittel, Einspritzen von Seifenwasser in die Gebärmutter, hat nicht gewirkt und die Schwangere starb beim zweiten Versuch durch eine Lungenembolie – benennt explizit die vorgebliche Schädigung der “Volksgemeinschaft”:
“Die Tat der Abtreibung wiegt schwerer, wie alle Abtreibungen, wegen des Erfolgs, den sie gewollt hat, nämlich der Tötung eines werdenden Menschen, wegen der Rohheit und Ehrfurchtslosigkeit, die in einem solchen Tun zu Tage tritt, und nicht zuletzt wegen des gefährlichen Angriffs auf den Bestand und die Zukunft des deutschen Volkes, schwer aber im Besonderen deshalb, weil sich die Angeklagte noch ein zweites Mal zu ihrem Tun entschlossen hat, obwohl sie durch die erste Tat in ihrem Gewissen gewarnt sein konnte und deshalb, weil ihre Tat den Tod einer gesunden Hausfrau und Mutter zur Folge hatte, die wohl noch mehr Kinder hätte zur Welt bringen können.”
Die Frau wurde zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Strafmindernd wirkte sich aus, dass sie “sonst nie straffällig geworden ist, noch in ziemlich jugendlichem Alter steht, bis jetzt ihre Pflichten als Geschäfts- und Hausfrau einwandfrei erfüllt hat”. (19)
Exemplarisch sollen hier drei Biografien vorgestellt werden, die oben Gesagtes illustrieren:
- Claire Waldoff, offen lesbisch lebende Kabarettistin und Chansonette, für die, auch wenn sie von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde, das nationalsozialistische Regime das Ende ihrer Karriere bedeutete. Profil anzeigen
- Marie Baum, Chemikerin und Sozialwissenschaftlerin, vermutlich liiert mit Ricarda Huch – es ist nicht geklärt welcher Art ihre Beziehung war. Aus rassistischen Gründen wurde ihre Universitätskarriere zumindest unterbrochen. Profil anzeigen
- Käthe Löwenthal, bildende Künstlerin, die ihrer jüdischen Herkunft wegen im KZ ermordert wurde. Die Art ihrer Beziehung zu Erna Raabe ist ebenfalls nicht abschließend geklärt. Profil anzeigen
Quellen:
(14) Jens Dobler, Unzucht und Kuppelei. Lesbenverfolgung im Nationalsozialismus, S. 56. In: Insa Eschebach (Hrsg.), Homophobie und Devianz, Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus, Berlin 2. Aufl. 2016, S. 53 – 62
(15) Claudia Schoppmann, Zwischen strafrechtlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ächtung: Lesbische Frauen im ‚Dritten Reich, S. 44. In: Insa Eschebach, (Hrsg.): „Homophobie und Devianz: Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus“, 2. Aufl. Berlin 2016 S. 35 – 51
(16) Claudia Schoppmann, Lesbische Frauen und weibliche Homosexualität im Dritten Reich. Forschungsperspektiven, S. 86 Anm. 4. In: Michael Schwartz (Hrsg): Homosexuelle im Nationalsozialismus. Neue Forschungsperspektiven zu Lebenssituationen von lesbischen, schwulen, bi- und intersexuellen Menschen 1933 – 1945, München 2014 S. 85 – 91
(17) Ebd S. 87
(18) Günter Grau (Hrsg.): Homosexualität in der NS-Zeit – Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, Frankfurt am Main 1993, S.154
(19) Stadtarchiv Stuttgart, Nachlass Klett 2112-73, Akte W.G.