Claudia Weinschenk

Ein langer Weg

Als staatstragende Elemente in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland galten Ehe und Familie. Auch wenn in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes der Grundsatz “Männer und Frauen sind gleichberechtigt” festgeschrieben wurde, so dauerte es doch noch bis 1957, ehe die Vormundschaft des Mannes über seine Ehefrau aufgehoben wurde und gar bis 1977, ehe die geschlechterspezifische Arbeitsteilung innerhalb einer Ehe abgeschafft wurde. Bis 1977 war die Frau zur Haushaltsführung verpflichtet und zur Erwerbstätigkeit nur berechtigt, “soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar” war (§ 1356 BGB).
Unverheiratete – “alleinstehende” – Frauen blieben in diesem familienzentrierten Umfeld unsichtbar, gleichgültig welche sexuelle Orientierung sie hatten. Arbeitsplätze für Frauen waren nur gering entlohnt. Viele Frauen teilten sich eine Wohnung. Welcher Art ihre Beziehung hinter verschlossener Tür war, blieb verborgen. (23)

Die Subkultur von einst war in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes zerschlagen worden. Nur wenige neue Treffpunkte der “Szene” wurden eröffnet, in Stuttgart das Café Weiss, das 1953 in der Oberen Bachstraße (die es heute nicht mehr gibt) gegründet wurde. In den 1980er Jahren war das Crazy Alm in der Katharinenstraße Treffpunkt der Szene. (24)
Im Zuge der linksgerichteten außerparlamentarischen Politisierung in den 1960er Jahren, zeitgleich mit dem Erscheinen des Praunheim-Films “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt” – der zwar ausschließlich männliche Homosexualität thematisiert, mit dem sich aber auch lesbische Frauen identifizierten und solidarisierten – entstanden erste Zusammenschlüsse von Lesben, die zunächst noch mit schwulen Zusammenhängen vernetzt waren.

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(Bildquelle: Claudia Weinschenk)

Erst mit dem berühmten Tomatenwurf von 1968 – der als Beginn der Zweiten Deutschen Frauenbewegung angesehen wird – während einer SDS-Veranstaltung als Protest gegen die Männerzentriertheit in auch “alternativen” politischen Gremien begannen auch Lesben die schwule Dominanz in homosexuellen Vernetzungsstrukturen zu hinterfragen.
Nach und nach – und wieder in Berlin (West) beginnend – bildeten sich Lesbengruppen. Viele Gruppen solidarisierten sich mit den neu entstandenen Gruppen der Frauenbewegung, es entstanden Frauen-Lesben-Gruppen, die gemeinsam gegen die vielfältigen Diskriminierungen von Frauen angingen – auch gegen den § 218.

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Das Stuttgarter Frauenzentrum in der Kernerstr. 31
(Bildquelle: Claudia Weinschenk)

Überall bildeten sich Frauenzentren. In Stuttgart wurde 1978 / 1979 das Frauenzentrum in der Kernerstraße 31 gegründet, in dessen Räumen viele noch heute bestehende soziale Frauenprojekte Ihren Anfang nahmen. Heute ist dort nur noch das Feministische Frauengesundheitszentrum FFGZ beheimatet.

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Frauenkulturzentrum und -café SARAH in Stuttgart
(Bildquelle: Claudia Weinschenk)

1978 wurde ebenfalls in Stuttgart das bundesweit erste Frauenkulturzentrum SARAH (Johannesstr. 13) gegründet, mit angeschlossenem Café-Betrieb als Treffpunkt für alle Frauen. Schnell wurde dies ein Treffpunkt der lesbischen Subkultur. Das SARAH war angelegt als Wohn- und Arbeitsprojekt für Frauen. Die Gründerinnen lebten in WGs in den oberen Stockwerken des Gebäudes. Bis heute werden die Wohnungen ausschließlich an Frauen vermietet.

Ab den 1970er Jahren bildete sich eine eigene (Frauen-)Lesbenkultur aus: Seit 1973 das internationale Sommercamp auf Femoe (25), seit 1994 das Frauenmusikfestival im Hunsrück; es wurden Frauenferien- und tagungshäuser gegründet; in vielen Städten entstanden Frauenbuchläden, auch in Baden-Württemberg: 1977 Heidelberg, 1978 Mannheim, 1979 Tübingen (das ist der einzige bis heute bestehende Frauenbuchladen in unserem Bundesland), und Stuttgart, 1980 Karlsruhe, 1981 Freiburg (26); das erste Lesbenfrühligstreffen wurde 1972 ausgerichtet (27); 1986 wurde der Verein “SAFIA – Lesben organisieren ihr Alter” gegründet (28). Die Liste ließe sich noch beträchtlich verlängern.
Der separatistische, ausschließlich auf Frauen gerichtete “lesbische Blick” verschwindet langsam. Mittlerweile gibt es zahlreiche Kooperationen zwischen Schwulen und Lesben. Vor allem jüngere Lesben haben nicht mehr den feministisch-kämpferischen Hintergrund. In einer offeneren und sensibilisierteren Gesellschaft braucht es solche (Schutz-)Räume auch nicht mehr unbedingt.
Dennoch muß konstatiert werden, dass Homosexualität im gesellschaftlichen Bewusstsein nach wie vor männlich konnotiert ist. Beispielsweise wird In Fernsehsendungen über Homosexualität fast ausschließlich schwules Leben dargestellt, begleitet vielleicht von einer Alibi-Lesbe.
Gleichberechtigung ist in der Szene noch lange nicht erreicht. Immer noch sind frauenliebende Frauen weitgehend unsichtbar.


Quellen:
(23) Vgl. Kirsten Plötz, Weitgehend ignoriert. Lesbisches Leben in der frühen Bundesrepublik. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S.27 – 30
(24) Dagmar Schönfisch, Frauenkneipen. Kommunikationsorte für FrauenLesben. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 220
(25) Vgl. Monika Mengel, Femoe. Beginn einer lesbischen Zeitrechnung. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 72 – 76
(26) Ilona Bubeck, Lesbisch-literarischer Spiegel. Frauenbuchläden, Verlage und Vertrieb. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 225
(27) Vgl. Ange Hehsling, Paula Taube, Das Lesbenfrühlingstreffen. Von den Anfängen als internationales Pfingsttreffen 1972 zum Lesbenfrühlingstreffen bis heute. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 241 – 243
(28) Anke Schäfer: SAFIA. Stürmische Alte finden immer Alternativen. In: Gabriele Dennert, Christiane Leidinger, Franziska Rauchut (Hrsg), In Bewegung bleiben. 100 Jahre Politik, Kultur und Geschichte von Lesben, Berlin 2007, S. 363 – 364

 

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