Rolle der Religionen
Spezifische Formen menschlicher Vielfalt bezüglich sexueller Orientierung als „abnormal“ und „widernatürlich“ zu diffamieren und Frauen sowie transsexuelle und intergeschlechtliche Menschen als „minderwertig“ zu betrachten, war keine Erfindung der Nationalsozialisten. Diese konnten vielmehr an eine Jahrhunderte alte Geschichte religiös begründeter Abwertungen von homo-, transsexuellen und intergeschlechtlichen Menschen anknüpfen.
Vergebungserklärungen der christlichen Kirchen
Zu dieser Geschichte und zur Unterstützung queerfeindlichen Verhaltens während der NS- und Nachkriegszeit hat sich die katholische Kirche bundesweit 2023 und die evangelische Kirche in Württemberg 2019 bekannt und um Vergebung gebeten:
- Vergebungserklärung der evangelischen Landeskirchen von 2019
Pressemitteilung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg vom 5. Juli 2019:
„Bitte um Vergebung für Umgang mit Homosexuellen“. - Vergebungserklärung der katholischen Bischofskonferenz im Januar 2023:
Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz vom 25.01.2023:
„Eigene Schuld bekennen, Homophobie bekämpfen“
Ein Video der Bitte um Vergebung ist unter folgendem Link anklickbar und zwar unter 2. Sitzung, Freitag 5. Juli 2019: https://www.elk-wue.de/wir/landessynode/archiv-2013-2019/sitzungen-der-15-landessynode/sommertagung-2019#c18504
Der Vergebungserklärung war der Antrag Nr. 36/17 „Bitte für Vergebung für Unrecht, das von unserer Kirche an gleichgeschlechtlich orientierten Menschen begangen wurde“ an die 15. Evangelischen Landessynode, 36. Sitzung am 30.11.2017 mit einem Redebeitrag des Erstuntzeichners Dr. Kretschmer vorausgegangen.
Hintergrundsinformationen zur Rolle von Bibel- und Korantexten
Im Namen des jüdisch-christlichen Gottes und islamischen Allah mussten gleichgeschlechtlich Liebende und transsexuelle sowie intergeschlechtliche Menschen Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Gewalt erleben. Teilweise geschieht das bis heute wie zum Beispiel im überwiegend christlichen Uganda oder im überwiegend islamischen Iran. Dies führt mit dazu, dass es einen hohen Anteil von LGBTIQA-Menschen bei den Geflüchteten gibt.
Insbesondere die rund 600 Jahren vor unserer Zeitrechnung entstandenen fünf Bücher Mose spielten bei der gesellschaftlichen Verankerung von Vorurteilen über eine angebliche Widernatürlichkeit gleichgeschlechtlicher Liebe und Sexualität sowie über die angebliche Minderwertigkeit von Frauen, von intergeschlechtlichen und transsexuellen Menschen eine wichtige Rolle. In diesen sind Aussagen wie beispielsweise folgende enthalten: “Wenn ein Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben” (Drittes Buch Mose, in Leviticus 20,13).
„Auch die Apartheid in Südafrika wurde – ebenso wie die Sklaverei – seinerzeit „biblisch“ begründet. (…) Heute zweifelt kaum ein Mensch mehr daran, wer sich hier versündigt hat und wer nicht. Ähnlich wird eines Tages das Urteil der Geschichte über den Umgang heterosexueller Christen mit Homosexuellen lauten.“ schreibt Klaus Douglass (hier zitiert nach: Sibylle Biermann-Rau: „Pfarrerin mit Frau – Eine (un)mögliche Geschichte“, Kapitel „Begegnung und/oder Bibelarbeit?“, Berlin 2023, S. 42ff)
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich in den letzten Jahren von früherer Ausgrenzung distanziert und sich nach oft heftigen inneren Debatten für LGBTIQA-Menschen geöffnet – in der Gemeinde wie im Pfarrer:innenhaus. Teile der Katholischen Kirche, der orthodoxen Kirchen, evangelikale Gruppen und die meisten islamischen Organisationen in Deutschland lehnen dagegen gelebte Homosexualität und geschlechtliche Vielfalt noch immer ab. Dennoch gibt es auch hier Menschen, die mutig ihre Stimme für Respekt, Gleichberechtigung und Anerkennung von Vielfalt erheben. Auch in jüdischen Gemeinden gibt es bis heute noch sehr kontroverse Haltungen gegenüber LSBTIQA-Menschen. Beim Islam ist heute kaum bekannt, dass dieser wesentlich freundlicher gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt als das Christentum in vorkolonialer Zeit war.
Dass wir heute mit Thora-, Bibel- und Korantexten anders und zwar queerfreundlich umgehen können, zeigen folgende Buchtipps, Youtube-Filme und Weblinks:
- Buchtipp: Josef Burri, Jakobs Fluch, Die Folgen von Bibel- und Korantexten für Homosexuelle
Zürich 2022
- Sibylle Biermann-Rau: Pfarrerin mit Frau – Eine (un)mögliche Geschichte, Berlin 2023
Kapitel „Begegnung und/oder Bibelarbeit?“ (S. 42ff)
Hier werden unter anderem folgende Vorträge empfohlen:
Vortrag von Prof. H. Lichtenberger zu Homosexualität in der Bibel an der Universität Tübingen
(Nov. 2010)
Vortrag von Professor Ebach zu Homosexualität und Bibel, im Haus der Begegnung in Leonberg -Evangelische Erwachsenenbildung (Nov. 2011)
Vortrag von Siegfried Zimmer zum Thema: „Die schwule Frage – Die Bibel, die Christen und das Homosexuelle“ (Worthaus Pop-Up – Tübingen: 7. Februar 2015)
Sie empfiehlt darüber hinaus das Buch „Streitfall Liebe – Biblische Plädoyers wider die Ausgrenzung homosexueller Menschen“ (2003 erschienen und 2007 überarbeitet).
- Homosexualität und Islam: Eszter Varsa Ph.D. unter Mitarbeit von Margret Göth & Angela Jäger: Homosexualität und Islam: lsbttiq und muslimisch sein?! Broschüre von PLUS. Psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar e.V.: https://www.mannheim.de/sites/default/files/2021-07/PLUS-Brosch_Homosex-Islam_web.pdf
- Ali Ghandour, deutsch-marokkanischer muslimischer Theologe und Buchautor mit den Forschungsschwerpunkten Praktische Theologie und Sexualforschung: „Liebe, Sex und Allah: Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime“ oder „Lust und Gunst: Sex und Erotik bei den muslimischen Gelehrten“.
- Kübra und Olcay: Weil Gott mich so gemacht hat – Kübra und Olcay erzählen, wie es ihnen als queere Muslim_innen gelungen ist, trotz der Erfahrung von Diskriminierung, ein zufriedenes Leben zu führen, ein Projekt von Demokratie leben: