(aktualisiert am 06.04.2024) Am Montag, den 15. April 2024 ab 14:30 Uhr wird in der Wiederholdstraße (gegenüber von Haus Nr. 10) in Stuttgart-Nord eine Gedenkstele für Fritz Bauer eingeweiht, was wir vom Projekt „Der-Liebe-wegen.org“ sehr begrüßen und unterstützen.
Mit Bauers Namen und Wirken als Generalstaatsanwalt in Hessen von 1956 bis 1968 verbindet sich sein unermüdlicher Kampf um die juristische Ahndung des nationalsozialistischen Unrechts. Auf seinen Beitrag hin ist die Ergreifung des untergetauchten NS-Verbrechers Adolf Eichmann zurückzuführen, einer der Hauptorganisatoren des Holocausts. Bauer gilt als Initiator der sogenannten Frankfurter Auschwitzprozesse und trug maßgeblich zur positiven Neubewertung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 bei. Vom Projekt „Der-Liebe-wegen“ setzten wir uns darüber hinaus dafür ein, dass Bauers auch als mutiger Vorkämpfer das §175-Unrecht gewürdigt wird und das nicht mehr länger tabuisiert wird, dass er selbst wegen seiner Homosexualität als Flüchtling in Dänemark seit März 1936 von Abschiebung an Nazideutschland bedroht war.

„Der Staat hat […] keinen Anspruch auf eine Regelung der Intimsphäre; es ist nicht seine Sache, den Inhalt von Eros und Sexus der einzelnen zu bestimmen.“ Fritz Bauer, 1967 Foto: Fritz Bauer Büste in Malmö, Sven Rosborn – Own work, CC BY-SA 3.0Link – siehe auch den Beitrag: Fritz Bauer – Pionier der Bewegung Artikel 3? von Christian Knuth

Mit dem Schandparagraphen 175 wurden Tausende von homo- und bisexuell begehrende Männer staatlicherseits auch nach 1945 ihrer Würde und ihrer Freiheit beraubt. Hunderte von KZ-Überlebende §175-Opfer haben nach 1945 keinerlei Rehabilitierung erlebt und keinerlei Entschädigung erhalten. Im Gegenteil: ihre Verfolgung während der Nazidiktatur wurden bei §175-Vergehen gerade auch in Baden-Württemberg und gerade auch am Stuttgarter Landgericht als strafverschärfend gewertet (siehe https://der-liebe-wegen.org/nachkriegszeit_baden-wuerttemberg_spitzenreiter_der_verfolgung/).
Bauer lehnte das geltende Sexualstrafrecht als lebensfeindlich ab und wandte sich gegen staatliche Eingriffe in die Intimsphäre. „Eros und Sexus“ hätten frei zu sein und dürften keiner staatlichen Zweckbestimmung unterliegen. Das Sexualstrafrecht habe sich Bauer zufolge auf Handlungen zu berschränken, die Kinder und Jugendliche schädigten und gewalttätig waren. Ein wichtiger Beitrag Bauers und seiner Mitstreitenden war der Sammelband „Sexualität und Verbrechen“, der als Taschenbuch 1963 große Resonanz fand. Fortwährend argumentierte er gegen die Bestrafung des homosexuellen Verkehrs einverständlich handelnder erwachsener Männer. 1952 machte er in seiner Eigenschaft als Generalstaatsanwalt den mutigen Versuch, durch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des §175 StGB prüfen zu lassen. Im Beitrag von Werner Renz „Wider die Kriminaliserung von Sexualität“ (veröffentlicht in dem 2023 herausgegeben Band „Verfolgung – Diskriminierung – Emanzipation“ von Michael Mayer und Michael Schwartz) heißt es unter der Zwischenüberschrift „Wider den Schwulenparagrafen“:

„Vor dem Landgericht Braunschweig hatten sich ein ’50jähriger Vertreter und ein vielfach vorbestrafter 22jähriger Arbeiter‘ zu verantworten. Bauer vertrat laut Presseberichten die Anklage in der Absicht, keinen Strafantrag zu stellen. In einer Meldung der Deutschen Presseagentur heißt es: ‚Das Schöffengericht Braunschweig lehnte einen Antrag des Generalstaatsanwaltes Bauer ab, nach dem das Verfahren ausgesetzt […] und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtsgültigkeit‘ des §175 ‚herbeigeführt werden sollte‘. Und weiter: ‚Der Generalstaatsanwalt begründete seinen Antrag damit, daß der Paragraph 175 in der Fassung vom 28. Juli [sic!] 1935 nicht mit der Bundesverfassung zu vereinbaren sei, die gleiches Recht für Männer und Frauen vor dem Gesetz fordere.‘ Das Schöffengericht Braunschweig lehnte Bauers Antrag mit dem Argument ab, ’sämtliche Oberlandesgerichte hätten‘ den §175 StGB ‚in letzter Zeit als geltendes Recht anerkannt.‘
Aus London schrieb Kurt Hiller (1885-1972), schon seit der Weimarer Republik ein streitbarer Kämpfer für die Straflosigkeit von Homosexualität, einen enthusiastischen Brief an Bauer. Er hatte im Berliner ‚Tagesspiegel‘ die dpa-Meldung gelesen. Hiller rief Bauer sein ‚leidenschaftliches Bravo‘ zu und schloss mit den Worten: ‚Das Unrecht (…) überrascht mitnichten; überraschend vielmehr ist die Tatsache, dass es heute Generalstaatsanwälte I h r e r Haltung gibt. Dazu beglückwünschte ich Sie, ehrlich verehrter Mann, und dazu beglückwünsche ich unser Deutschland.‘ Hillers Brief hebt die Wichtigkeit hervor, die Bauers Antrag Anfang der 1950er Jahre beizumessen ist.“

In einer Zeit, wo die Bundesregierung eine neuerliche Asylverschärfung durch Einstufung als sichere Herkunftsstaaten von Ländern mit massiver LSBTIQ*-Verfolgung plant, wird bis heute teilweise immer noch tabuisiert, dass Fritz Bauer selbst als Flüchtling in Dänemark ab März 1936 von einer Auslieferung an Nazideutschland wegen seiner eigenen homosexuellen Kontakte bedroht war. Im bereits 2017 erschienenen Beitrag von Werner Renz „Wider die Sittenwächter: Fritz Bauers Kritik am überkommenen Sexualstrafrecht der 1950er und 1960er Jahre“ wird die gefährliche Situation vieler homosexueller Geflüchteter aus Nazideutschland am Beispiel von Fritz Bauers Leben deutlich:

„Verfolgung wegen Homosexualität hat Bauer am eigenen Leib erfahren. Kaum war er im März 1936 legal nach Dänemark gereist und im Glauben, frei von Nachstellungen und Gestapowillkür zu sein, wurde der politische Flüchtling von der Kopenhagener Polizei vorgeladen und verhört. (…) Der bis dato »ungekannte Ausländer«, wie es im Polizeibericht heißt, hatte in polizeibekannten Lokalen verkehrt und in seiner Wohnung sexuellen Umgang mit einem Mann gehabt. Bauer bestritt im Verhör die polizeilich notierten Beobachtungen nicht und gab auch an, wohl wissend, dass bezahlter Sex unter erwachsenen Männern auch in Dänemark strafbar war, seinem Sexualpartner für seine Dienste Geld gegeben zu haben. (…) Wie entwürdigend die Lage gleichwohl für ihn gewesen ist, zeigt die Tatsache, dass das sozialdemokratische Komitee, das politische Flüchtlinge wie Bauer unterstützte, von der Polizei informiert wurde. Gegenüber seinen offenbar beschränkten dänischen Genossen sah sich Bauer veranlasst (…) zu betonen, er werde sich fortan an die Gesetze des Landes halten. Bauers dänische Polizeiakte weist insgesamt 31 Einträge auf. Immer wieder wurde der Emigrant befragt, ob er weiterhin homosexuelle Kontakte pflege. Der zweifelsfrei gefährdete Bauer, dem eine Abschiebung nach Deutschland drohte, stellte seine Kontakte mutmaßlich ein. In den Jahren 1938 bis 1940 wiederholt von der Polizei auf den Sachverhalt angesprochen, beteuerte er seine Abstinenz.

Der Autor des Beitrags, Werner Renz, war seit der Gründung des Fritz Bauer Instituts im Jahr 1995 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts und Leiter des Archivs und der Bibliothek. Die Initiative Queer Nations hat anlässlich des 50. Todestags von Fritz Bauer Werner Renz Beitrag „Wider die Sittenwächter: Fritz Bauers Kritik am überkommenen Sexualstrafrecht der 1950er und 1960er Jahre“ als kostenlosen Download im Internet veröffentlicht (siehe hierzu auch das Jahrbuch Sexualitäten 2017). Der Beitrag ist eine würdevolle Aufarbeitung dieser oftmals totgeschwiegenen Seite des Nazi-Jägers Fritz Bauer und sehr lesenswert: HIER PDF DOWNLOADEN.

Im Beitrag „Fritz Bauer – Jurist, Jude, Remigrant und Generalstaatsanwalt“ von Karl-Heinz Steinle und Barbara Kettnaker im 2021 veröffentlichten Ausstellungskatalog „Queer durch Tübingen: Geschichten vom Leben, Lieben und Kämpfen“ heißt es:

„1936 folgte Fritz Bauer seiner Schwester Margot und ihrem Mann ins Exil nach Dänemark. Dort ging er im Juni 1943 mit der Kindergärtnerin und Genossin Anna Maria Petersen (1903-2002) eine Schutzheirat ein. Ob er dies tat, weil er in Gefahr stand, als Ausländer ausgewiesen zu werden, oder ob er damit den Verdacht der dänischen Fremdenpolizei, er pflege Umgang mit männlichen Prostituierten aus dem Weg räumen wollte, ist nicht bekannt. (…) Auch seine Homosexualität lebte Fritz Bauer nicht offen aus. (…) Bauers Zurückgezogenheit hatte sicherlich auch taktische Gründe. So vermied er nicht nur den Vorwurf, nur aus eigener Betroffenheit zu handeln, er schützte sich auch vor Erpressungen. Denn während Bauers gesamter Zeit als Landesgerichtsdirektor und Generalstaatsanwalt waren alle homosexuellen Handlungen noch unter Strafe gestellt.“

Unser Projekt „Der-Liebe-wegen“ (www.der-liebe-wegen.org) unterstützt die Unterschriftenliste „Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer“ an die Stadt Stuttgart (1) und begrüßt es, dass die Stadt Stuttgart eine Gedenkstele für Fritz Bauer am 15. April 2024 einweihen wird. So heißt es in einer Mail vom Team der Koordinierungsstelle Erinnerungskultur Stuttgart vom 2. April 2024: „Am 15. April weihen wir in Stuttgart-Nord eine Gedenkstele für Fritz Bauer ein. Der engagierte Streiter für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen ist 1903 in Stuttgart geboren und verbrachte auch seine Kindheit und Jugend sowie seine ersten Berufsjahre hier. Dennoch ist Bauer im Stuttgarter Stadtbild bisher kaum präsent, was sich nun ändern soll. Die Einweihung der Stele findet am Montag, den 15. April ab 14:30 Uhr in der Wiederholdstraße (gegenüber von Haus Nr. 10) statt. Nach einem Grußwort des Ersten Bürgermeisters Fabian Mayer spricht Dr. Katharina Rauschenberger vom Frankfurter Fritz-Bauer-Institut. Außerdem gibt es einen Beitrag von Schüler*innen des „Ebelu“ (Eberhard-Ludwig-Gymnasium).“

Ralf Bogen

(1) Unterschriftenliste „Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer!“

2) Veranstaltung „120 Jahre Fritz Bauer – Antifaschist und streitbarer Demokrat aus Stuttgart“
Unser Projekt „Der-Liebe-wegen“ möchte auf die Veranstaltung „120 Jahre Fritz Bauer – Antifaschist und streitbarer Demokrat aus Stuttgart“ mit Vortrag von Dr. Katharina Rauschenberger (Fritz Bauer Institut, Frankfurt/Main) am 18. November 2023 um 18 Uhr im Forum 3 Theater, Gymnasiumstraße 21 in Stuttgart aufmerksam machen (siehe detaillierte Informationen hierzu auf dieser Webseite weiter unten sowie auch die Webseite der DGB-Region Stuttgart).