26.6.25: Sie machen Geschichte: Queer-inklusiv Leben und Wohnen über Generationen hinweg als neues historisches Phänomen
Veranstaltungstipp: 26.06.2025, 17:00–19:00h, Technisches Rathaus der Universitätsstadt Tübingen (Brunnenstraße 3, 72072 Tübingen)
Aus Sorge vor Diskriminierung oder gar staatlichen Repressionen mussten sich queere Menschen an ihren Wohnorten Jahrhunderte lang unsichtbar machen. Das zeigt sich deutlich in vielen dargestellten Biografien der NS-Opfer auf unserer Webseite „Der-Liebe-wegen“. Nach dem CSD-Aufstand 1968 haben sich an vielen Orten queere und queer-inklusive Wohngemeinschaften gegründet. Die Generationen blieben dabei noch weitgehend unter sich. Erst in den letzten Jahren haben sich als ein neues historisches Phänomen bundesweit größere queere und queer-inklusive Wohn- und Lebensortprojekte entwickelt, die mit dem Ziel antreten, generationsübergreifend dafür zu sorgen, dass sich Menschen aller sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten am Wohn- und Lebensort wohlfühlen und Vielfalt als Bereicherung für alle erleb- und erfahrbar wird.
In Baden-Württemberg soll ein solcher Ort für Vielfalt, Teilhabe und einen wertschätzenden Umgang miteinander im neuen Quartier Marienburger Straße (abgekürzt: Maribu) im Tübinger Süden entstehen. Hier will die Genossenschaft Neustart (siehe https://neustart-solewo.de/) bis ca. 170 Wohnungen für etwa 400 Menschen bauen. Bis 2029 ist ein nachbarschaftliches Wohnen aller Generationen in den unterschiedlichsten Formen geplant: Singles, Paare, Wohngemeinschaften, „traditionelle“ Familien, Regenbogen- oder Patchwork-Familien – alle werden ihren gleichwertigen Platz haben.
Innerhalb der Genossenschaft hat sich eine AG Queer+ gebildet, in deren Informationsflyer es heißt:
„Jede_r für sich und manches zusammen …“
ist unser Motto für das geplante nachbarschaftliche Wohnen. Respekt vor der Privatsphäre ist uns so wichtig wie eine wohlwollende, sich gegenseitig unterstützende, verlässliche Nachbarschaft. Neustart soll ein Zuhause werden, wo Menschen jeden Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung authentisch leben und sich wohlfühlen können. Damit das gut gelingt, dafür haben wir uns unter dem Namen „Queer+“ zu einer Arbeitsgruppe in Neustart zusammengefunden. Das Plus in unserem Namen steht für alle Menschen, die mit uns gemeinsam einschränkende, Jahrtausend alte patriarchale Geschlechterrollen überwinden wollen. Uns ist der generationsübergreifende Austausch sowie gegenseitige Ermutigung wichtig.
Interesse? Wir freuen uns auf Eure Kontaktaufnahme: queer-plus@neustart-solewo.de
Am 26. Juni 2025 organisiert die AG Queer+ der Genossenschaft Neustart in Kooperation mit dem Queeren Zentrum Tübingen und der Abteilung Gleichstellung und Integration der Universitätsstadt Tübingen im Rahmen des PrideMonth Tübingen zum Thema folgende Informationsveranstaltung:

Impulse & Diskussion
- Was tut sich bundesweit in Bezug auf queer-inklusive Wohnprojekte? Wie unterstützt das „Buntes Leben Stiften“?
Markus Schupp, Buntes Leben Stiften, Köln - Initiatoren von Que[e]rbau Wien berichten aus drei Wohnprojekten
Andreas Konecny (Gruppencoach) & Roland Hampl (Architekt), Que[e]rbau Wien - Die Genossenschaft Neustart:
Wie die Chance nutzen, queer-inklusives Leben und Wohnen im Tübinger Süden (mit-) zu gestalten?
Hanna Neuffer, neustart: solidarisch leben + wohnen e.G., Tübingen
Weitere Diskussionsteilnehmende:
- aus jüngerer queerer Perspektive – Liv Stuke und Joshua Preißing, Queeres Zentrum Tübingen e.V.
- aus älterer queerer Perspektive – Ralf Bogen, AG queer+ der neustart: solidarisch leben + wohnen e.G.
- aus feministischer Perspektive – Prof. Dr. Barbara Stauber stellv. Vorsitzende des Aufsichtsrats neustart: solidarisch leben + wohnen e.G.
- aus der Perspektive der Abteilung Gleichstellung und Integration der Universitätsstadt Tübingen – Lou Schumm, Koordination Queere Chancengleichheit, Tübingen
Moderation: Marjam Kashefipour, Mitarbeitende von adis e.V.
(Träger der professionellen Antidiskriminierungsarbeit in der Region Reutlingen/Tübingen)
Videotipp: Queer und alt zwischen Pride und Einsamkeit
Lebenslange Diskriminierung prägt viele homosexuelle und trans* Menschen bis ins Alter. In Seniorenheimen fürchten sie Ausgrenzung und Unverständnis, fühlen sich oft isoliert und sind einsam. Besonders Trans-Personen leiden unter schlechter seelischer und körperlicher Verfassung. Doch immer mehr spezialisierte Wohnformen, Beratungsstellen und Pflegedienste bieten Schutzräume. Auch traditionelle Einrichtungen erkennen Defizite und reagieren zunehmend sensibler. Das Bewusstsein für die Bedürfnisse einer vielfältigen älteren Generation wächst.
Siehe: https://www.swr.de/swrkultur/wissen/queer-und-alt-zwischen-pride-und-einsamkeit-das-wissen-2025-03-27-102.html
Links zu queeren und queerfreundlichen Wohnprojekten:
Berlin: Lebensort Vielfalt
Der Lebensort Vielfalt ist ein einzigartiges Wohnprojekt der Schwulenberatung Berlin, das Menschen jeden Alters, Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung willkommen heißt. Unser Ziel ist es, ein generationsübergreifendes Zuhause zu schaffen, das Raum für Vielfalt, Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung bietet. Unser Projekt zielt darauf ab, Diskriminierung und Einsamkeit aktiv entgegenzuwirken und ein starkes Netzwerk für all jene zu schaffen, die auf gegenseitige Unterstützung angewiesen sind. Der Lebensort Vielfalt ist nicht nur ein Zuhause, sondern auch ein sicherer Ort, der Solidarität, Inklusion und Respekt in den Mittelpunkt stellt.
Berlin: Queere Wohnprojekte
Berlin – genauer gesagt West-Berlin – ist seit Jahrzehnten eine Hochburg der queeren Szene und ein Zufluchtsort für nicht-heterosexuelle Menschen aus aller Welt. Ob aus der deutschen Provinz, aus Syrien oder Russland – hier können sie relativ frei und offen leben. Es überrascht daher nicht, dass sich die Stadt zunehmend auch zum Vorreiter für queere Wohnprojekte entwickelt (…) Aber Wohnhäuser nur für Lesben, Schwule oder andere queere Menschen? Das klingt zunächst befremdlich. Warum diese Abschottung nur aufgrund der sexuellen Identität? (…) „Bei uns stehen insgesamt 1000 Leute auf der Warteliste für eine Wohnung“, erklärt Marcel de Groot. Die Wohnprojekte seien Orte für Menschen, die besonderen Schutz brauchen und die ohne Angst vor Ausgrenzung leben möchten. (…) In herkömmlichen Senioreneinrichtungen hätten queere Biografien oft keinen Platz, zudem tut sich die ältere Generation teilweise schwer damit, offen mit ihrer Homosexualität umzugehen (…).
Als „Sechser im Lotto“ bezeichnet Manfred seine Wohnung. Der Rentner (…) wollte nicht mehr alleine wohnen. (…) Was er (…) schätzt: dass der Gemeinschaftssinn gefördert wird und er jederzeit etwas mit den anderen im Haus unternehmen kann. Neben der Dachterrasse für alle gibt es einen großen Gemeinschaftsraum, wo Spieleabende stattfinden (…). Das Frauenpaar, 80 und 75 Jahre alt, habe in seinem Leben viel Ablehnung erfahren, erzählt Annet, eine andere Bewohner:in. Um so mehr genießen sie hier ihren Lebensabend in einem Umfeld, wo Lesbisch- oder Schwulsein selbstverständlich ist. Auch Annet ist sehr zufrieden mit ihrer Wohnung. (…) Viel wichtiger ist ihr der tolle Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung im Haus. „Und dass ich mich hier nicht erklären muss.“ (…) In Mona Lisa von Allensteins Wohnung hängt ein Bild, das ihr die Kitakinder gemalt haben, als sie ins Krankenhaus musste: „Da sind mir fast die Tränen gekommen.“ Als „Märchentante“ geht sie einmal in der Woche in die Kita und liest den Kindern Geschichten vor.
Köln: Villa anders
Miteinander leben in lesbisch-schwuler Gemeinschaft: Für die Bewohner und Bewohnerinnen der Villa anders heißt das, Interesse aneinander zu zeigen, offen sein für Gemeinsames, aber auch Grenzen respektieren. Es heißt, individuell wohnen und doch nicht allein sein, sich aufeinander verlassen können und sich wohl fühlen im Haus und in der Nachbarschaft. (…) Die Villa anders ist offen für Lesben, Schwule und Transgender, die Lust haben auf ein selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Wohnen. Willkommen sind Singles, Paare und Regenbogen-Familien, gut und weniger gut Verdienende, Jüngere und Ältere. Manche verbringen ihre Studienzeit hier, viele ihre Berufsjahre, andere ihren Lebensabend. Alle Generationen sind erwünscht!
Wien: Queerbau
Eine diverse Nachbarschaft soll die Nachteile des Singles- und Kleinfamiliendaseins überwinden helfen. Que[e]rbau versteht sich als Plattform für Vielfalt und Teilhabemöglichkeit – für nachbarschaftliches Wohnen aller Generationen, Singles und Partner_innen und unterschiedlicher Familienformen oder Wohngemeinschaften:Regenbogenfamilien, Patchwork-Familien, Pflegefamilien. Que[e]r bezeichnet nicht nur verschiedene Formen der sexuellen Orientierung, sondern auch Heteronormativität und die destruktiven Anteile der Geschlechterrollen zu überwinden. „Jede_r für sich und manches zusammen“ ist unser Motto für nachbarschaftliches Wohnen. Que[e]res Wohnen will nicht alleine stehen oder sich abgrenzen, sondern vielmehr ins Quartier ausstrahlen – Offene Nachbar_innentreffs, eine gemeinsame Gartennutzung sollen verbindend wirken. Die Bewohner_innen gestalten ihre eigenen und gemeinsamen Räume für Aktivitä.ten im Seminar- und Yoga-Raum oder in der Werkstatt. Kooperative Gruppen können die Gemeinschaft zusätzlich beleben: Kreativraum, Foodcoop, Shared Office…
Buntes Leben stiften – sinnvoll Leben im Alter
Wie wollen wir unser Leben gestalten, wenn wir alt sind? Wie leben wir selbstbestimmt und im Schutz der Gemeinschaft, diskriminierungsfrei und solidarisch, wenn wir einer sexuellen oder anderen Minderheit angehören?
Das sind Fragen, die sich Gert Rickart und Johannes Mayer gestellt haben. Aus privaten Mitteln haben sie 2016 die Stiftung Buntes Leben Stiften gegründet. (…) Eine Stiftung wie Buntes Leben Stiften kann keine Probleme lösen, aber sie kann helfen. Das Ziel von Buntes Leben Stiften liegt daher darin, Angehörige von Minderheiten dabei zu unterstützen, ihr Alter in Würde und Akzeptanz selbst zu gestalten. Wir möchten Menschen motivieren und ihnen dabei zur Seite stehen, Räume – Wohnräume, soziale Räume, Lebensräume – für ein solidarisches Leben ohne Diskriminierungen für das Alter zu schaffen. Damit wollen wir auch einen Beitrag leisten, eine mögliche soziale Isolation zu vermeiden und deren physischen und psychischen Folgen vorzubeugen. (…) Wir wollen Menschen – egal welcher sexueller oder geschlechtlicher Identität oder Träger anderer von Diskriminierung betroffener Merkmale – helfen, damit sie im Alter selbstbestimmt und im Schutz der Gemeinschaft leben können.
Neben dem Einsatz unserer ideellen Kraft wollen wir auch die Möglichkeit der finanziellen Förderung stetig ausbauen. Für den Anfang haben wir beschlossen, entstehende Initiativen des gemeinschaftlichen Wohnens finanziell zu unterstützen, die offen sind für Angehörige sexueller und geschlechtlicher Minderheiten.