Claudia Weinschenk

Nach dem Ersten Weltkrieg war eine deutliche Öffnung der Gesellschaft in allen Lebensbereichen erreicht. Die wichtigsten Forderungen der Frauenbewegung: Die nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit von (unverheirateten) Frauen und die nach politischer Mitwirkungsmöglichkeit von Frauen, waren erreicht. Nur der § 218, das Abtreibungsverbot, war in der gesamten Zeit der Weimarer Republik umstritten. Um 1930 wurde gegen diesen Paragraphen mit vielfältigen und äußerst publikumswirksamen Aktionen gekämpft.

Die bislang rigiden Moralvorstellungen veränderten sich. Die “neue Frau”, berufstätig und finanziell unabhängig(er), lebte auch sexuell freizügiger.

Nun tauchten auch frauenliebende Frauen in der Öffentlichkeit auf. Es bildete sich eine “Lesben-Szene” mit Bars und Treffpunkten, die für Berlin gut erforscht ist.

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Jeanne Mammen, Im Damen-Spielclub
(Bildquelle: Aus: Eldorado. Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 – 1950. Geschichte, Alltag und Kultur, Berlin 1984)

Anders für die “Provinz” – und als “Provinz” galt alles was außerhalb Berlins lag. Nur wenig wurde hier bislang erforscht. Aber es ist bekannt, dass auch hier frauenliebende Frauen erreicht wurden. Vor allem über die zahlreichen Zeitschriften für frauenliebende Frauen, die alle in Berlin erschienen, aber über Postversand und auch über vereinzelte Verkaufsstellen überall in Deutschland erhältlich waren. Für den Südwesten sind Karlsruhe, Mannheim und Stuttgart mit einer Verkaufsstelle belegt.

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Titelblatt Die Freundin vom 2. Oktober 1929
(Bildquelle: Aus: Heike Schader, Virile Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre, Königstein / Taunus 2004)

Neben den Publikationen Frauenliebe, Frauen – Liebe und Leben, Garconne war die auflagenstärkste und am weitesten verbreitete Zeitschrift “Die Freundin”, die von 1925 bis 1933 vom Bund für Menschenrecht (BfM) herausgegeben wurde. (13)
Durch Veranstaltungshinweise, Kleinanzeigen und redaktionelle Beiträge in “Die Freundin” wie auch in den anderen Vereinsblättern des Bundes für Menschenrecht erfahren wir einiges über das Leben lesbisch lebender Frauen, aber auch von homosexuellen Männern und von “Transvestiten”. Offensichtlich nämlich wurde alles, was nicht der “Norm” entsprach und auch nicht schwul war, in einen Topf geworfen – “Die Freundin” war auch das Blatt für “TTI”-Menschen.

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Vereinsorgane des Bundes für Menschenrecht
(Bildquelle: Die Freundin Januar 1927)

Für den Südwesten lassen sich nur wenige Anzeigen, in denen die Treffpunkte der “Szene” angezeigt sind, finden. Das trifft auch für schwule Zeitschriften der Zeit wie z.B. “Die Insel” zu, ebenfalls vom BfM herausgegeben. Das kann bedeuten, dass die Ortsgruppen des BfM im Südwesten – diese Zeitschriften waren ja Vereinsorgane – nicht besonders groß waren und entsprechend geringe finanzielle Mittel hatten. Als ein Hinweis darauf können wiederholte Aufrufe in der “Insel” angesehen werden, doch Vereinsmitglied zu werden. Seit Mitte der 1920er Jahre aber gibt es Hinweise darauf, dass sich in einzelnen südwestdeutschen Städten BfM-Ortsgruppen gebildet haben, so 1925 die Ankündigung, dass es eine konstituierende Sitzung in Mannheim geben werde.

In Stuttgart gab es spätestens seit 1931 regelmäßige Ortsgruppensitzungen des Bundes für Menschenrecht und Veranstaltungen in der Gaststätte Sonnenhof (Rotebühlstr. 89, heute Theater der Altstadt). Hier traf sich auch jeden Samstag- und Sonntagabend die “Damenabteilung”, als deren Leiterin Claere Angel angegeben wurde, über die bislang noch nichts in Erfahrung gebracht werden konnte.

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Ankündigung eines Treffens der Stuttgarter Damenabteilung 1931
(Bildquelle: Die Freundin 27. Mai 1931)
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Restaurant Sonnenhof in Stuttgart 1942
(Bildquelle: Stadtarchiv Stuttgart 101_FN250_2360_H_12)

Ein weiteres Lokal, die Gaststätte “Zum Josephle” in der Gutenbergstr. 50 A, wird im “Freundschaftsblatt” als Vereinssitz des BfM in Stuttgart und Ort einer Jubiläumsveranstaltung genannt.

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Clublokal in der Gutenbergstr. 50 A
(Bildquelle: Freundschaftsblatt 9. Oktober 1930)
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Straßenzug Gutenbergstr, Stuttgart 1942; die zu dieser Zeit nicht mehr existierende Gaststätte “Zum Josephle” befand sich im Eckgebäude Gutenberg- / Hasenbergstr., rechts vor dem kleinen Platz
(Bildquelle: Stadtarchiv Stuttgart 101_FN250_2187_H_8-1)

In der “Insel” werden drei Kostümbälle in der “Rosenau” in der Rotebühlstr. 109b angezeigt. Es ist zu vermuten, dass diese Veranstaltungen auch für lesbische Frauen zugänglich waren, zumal in Annoncen aus anderen Städten (Duisburg z.B.) immer explizit “Freunde und Freundinnen” angesprochen wurden.

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Zille- und Kostümbälle 1931
(Bildquelle: Die Insel Januar 1931)
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Straßenzug Rotebühlstr. Stuttgart mit der Gaststätte Rosenau
(Bildquelle: Stadtarchiv Stuttgart 101_FN250_2367_H_12)

Auf der Kleinanzeigen-Seite sind Kontaktanfragen wie die Folgende zu finden:

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Kleinanzeige in der Freundin 1927
(Bildquelle: Die Freundin 28. April 1927)

Auch Anfragen wegen gemeinsamer Unternehmungen werden annonciert. So wurden in der Ausgabe der “Freundin” vom 2. Mai 1927 per Chiffeanzeige “jüngere Menschen, die Lust haben, sich in einem Wanderklub zusammenzuschließen” gesucht.

Auch wenn es so scheint, als habe es zumindest in Stuttgart ein lebhaftes schwul-lesbisches Leben gegeben, so zeigt ein Artikel über den Selbstmord eines Stuttgarter Lesbenpaars, dass auch in den “Roaring Twenties” Alltagsleben von Homosexuellen nicht konfliktfrei ablief: 

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Aus einem Artikel in der Zeitschrift Die Freundin
(Bildquelle: Die Freundin Dezember 1930)

Quelle:
(13) vgl. Heike Schader, Virile, Vamps und wilde Veilchen. Sexualität, Begehren und Erotik in den Zeitschriften homosexueller Frauen im Berlin der 1920er Jahre, Königstein / Taunus 2004, S. 43 – 60

 

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