Karl Zeh
* 10.5.1904 Saargmünd
Der am 10. Mai 1904 in Saargmünd (Lothringen) geborene, ledige und katholische Karl Zeh war bis zu seiner Inhaftierung 1938 in Stuttgart als Kellner beschäftigt. Das Landgericht Stuttgart verurteilte ihn am 3. September 1938 u. a. wegen widernatürlicher Unzucht nach § 175 a Ziffer 3 zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis, die er bis 19. Januar 1940 verbüßte. An diesem Entlassungstag nahmen ihn Beamte der Stapoleitstelle Stuttgart im „Hotel Silber“ in Polizeihaft. Damit begann sein Leidensweg durch mehrere Konzentrationslager, unter anderem:
- KZ Sachsenhausen (März 1940 bis April 1940, Häftlingsnummer: 17700)
- KZ Flossenbürg (bis August 1942, Häftlingsnummer: 1179)
- KZ Auschwitz (bis Januar 1945, Häftlingsnummer: 62896)
- KZ Mauthausen (bis März 1945)
- KZ Ebensee (bis zur Befreiung im Mai 1945)
Er überlebte die NS-Diktatur, wurde jedoch im Januar 1949 vom Landgericht Stuttgart erneut wegen eines § 175a-Vergehens zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.
Im Oktober 1949 wandte er sich an die Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung Stuttgart um eine KZ-Haftentschädigung zu beantragen. Da Homosexualität nach wie vor nach §§ 175 und 175a in der nationalsozialistischen Fassung strafbar war, hatte sein Antrag nur Aussicht auf Erfolg, wenn er politische Gründe für die KZ-Haft vortrug. Laut Landesbezirksstelle gab Karl Zeh am 12. Oktober 1949 folgende Erklärung ab:
„Ich hatte etwa am 17.1.1940 mit dem früheren Reichsstatthalter Murr eine Auseinandersetzung in der Gaststätte „Stadtgarten“ in Stuttgart. Dort war ich als Kellner angestellt und hatte Herrn Murr zu bedienen. Dieser hatte die Gewohnheit, zuerst einen Schnaps zu trinken und diesen sofort zu bezahlen, ich hatte aber an diesem Abend sehr viel zu tun und bat ihn, den Schnaps am Schluss der Zeche zu bezahlen. Daraufhin machte er mir Vorwürfe, dass man sich auf Kellner nicht verlassen könne. Schon einige Monate früher machte mir Murr Vorwürfe, weil ein Glas Wein nicht voll genug eingegossen war. Am 19.01.1940 wurde ich von der Gestapo in Stuttgart wegen Spionageverdacht verhaftet. Ich kann nur annehmen, dass Murr diese Verhaftung veranlasst hat, obwohl bei meinen Vernehmungen nie die Rede von der Angelegenheit zwischen Murr und mir im Stadtgarten war. Spionage habe ich aber nie betrieben, wohl war ich einige Male im Ausland, ich besaß in Paris ein Haus, welches ich an meine Schwester verkaufte. Aus diesem Grund war ich öfters in Paris, habe aber nie daran gedacht, irgendwie Spionage zu betreiben.
Vom 19.01.1940 bis 24.01.1940 war ich in Polizeihaft in Stuttgart (Hotel Silber) von dort aus kam ich in das KZ-Welzheim. Dort war ich in der Stufe I mit mehreren Schutzhäftlingen untergebracht, darunter war u. a. Herr S. und sein Sohn aus Stuttgart-Feuerbach.
Von Welzheim kam ich auf Transport nach Mannheim, Frankfurt und Nürnberg, in diesen Städten wurde ich Personen, die wegen Spionage verhaftet waren, gegenüber gestellt. Man konnte mir aber nicht das Geringste nachweisen, ich kam dann wieder nach Welzheim zurück, dort war ich bis März 1940 (den genauen Tag weiß ich nicht mehr).
Dann kam ich in das KZ Sachsenhausen, dort war ich ca. 6 Wochen, dann ging es weiter nach dem KZ-Flossenbürg, wo ich bis zum 27.08.1941 war. Dort habe ich mir eine doppelseitige Lungenentzündung zugezogen. Bei Arbeiter im Steinbruch wurde mein linker Fuß durch einen Steinschlag dreimal gebrochen. In Sachsenhausen habe ich einen roten Winkel bekommen […].
Am 27.08.1941 kam ich dann nach dem KZ Ausschwitz, dort bekam ich Typhus und alle anderen Krankheiten, die mit der Unterernährung zusammenhängen.
Am 18.1.1945 wurden wir von Ausschwitz aus in Marsch gesetzt, bis Loalau ging es zu Fuß, von dort per Schupp über die CSR, nach Mauthausen, wo ich am 28.1.45 ankam. In Mauthausen war ich bis März 1945, dann kam ich vorübergehend zu Aufräumungsarbeiten nach Amstetten in Österreich und von dort aus in das KZ-Ebensee, wo ich am 6.5.45 von den Amerikanern befreit wurde.“
Da Verfolgung wegen §§ 175 und 175a nach damaligen Verständnis nicht als politische Verfolgung, sondern als Ahndung krimineller Handlungen galt, versuchte Karl Zeh in einem weiteren Schreiben vom 24. Oktober 1950 sein Entschädigungsanspruch mit dem Nachweis zu untermauern, dass er in verschiedenen KZs einen roten Winkel tragen musste (der rote Winkel stand für politische Häftlinge):
„In Welzheim gab es keinen Winkel. In Sachsenhausen hatte ich einen roten Winkel. In Flossenbürg trug ich einen roten und einen rosa Winkel. Über den rosa Winkel beschwerte ich mich beim Kommandanten. Ich brauchte dann keinen rosa Winkel mehr zu tragen. Der Kommandant war offenbar davon überzeugt, dass ich bei dem Grund meiner Verhaftung den rosa Winkel nicht zu tragen hätte.“
Mit Beschluss vom 24. Oktober 1950 wies das Landgericht Stuttgart Wiedergutmachungskammer II die von Karl Zeh gegen das Land Württemberg-Baden erhobene Klage auf Entschädigung für 63 Monate KZ-Haft ab und legte die Kosten des Verfahrens dem Kläger auf. Diese Kosten werden nach dem Streitwert berechnet. Dieser wurde damals auf insgesamt 9450 DM festgesetzt, also 150 DM für einen Monat KZ-Haft. In den Ablehnungsgründen werden drei einschlägige Vorstrafen, jeweils wegen widernatürlicher Unzucht nach § 175 a Ziffer 3, aufgeführt und zwar:
- ein Jahr Gefängnis durch Urteil des Landgerichts München vom 5. Februar 1936, verbüßt am 5. Dezember 1936;
- ein Jahr und zwei Monate Gefängnis (u. a. auch wegen Diebstahl und Fahren ohne Führerschein) durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. September 1938, verbüßt am 19. Januar 1940;
- vier Monate Gefängnis durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom Januar 1949.
Weiter heißt es im Ablehnungsbeschluss:
„Der Kläger hat […] vorgetragen: „Bei seiner Verhaftung durch die Gestapo in Stuttgart nach seiner im Januar 1940 erfolgten Entlassung aus der Strafhaft seien ihm weder seine Vorstrafen noch „der Fall Murr“ vorgehalten worden. In den KZ’s habe er jeweils den roten Winkel getragen, in Flossenburg auch den rosa Winkel.“
Laut Inhaftierungsbescheinigung des International Tracing Service der IRO Arolson wurde der Kläger wegen § 175 eingewiesen. […] Auf die angebliche Auseinandersetzung mit dem Reichsstatthalter Murr im Stadtgarten […] ist die im Januar 1940 erfolgte Festnahme des Klägers durch die Gestapo nicht zurückzuführen.
Auch der von Kläger angegebene Haftgrund (Spionageverdacht) ist unglaubhaft und überdies durch nichts bewiesen. Fest steht aber auf Grund der Inhaftierungsbescheinigung der IRO Arolsen, dass der Kläger als Homosexueller in Haft gehalten worden ist. Er gibt auch selbst zu, im KZ Flossenbürg – wenigstens zeitweise – den rosa Winkel getragen zu haben, der das äußere Abzeichen der Homosexuellen war.
Ausschlaggebend für seine Inhaftierung durch die Gestapo, die nach der ursprünglichen Darstellung des Klägers am 19.1.40, also am Tage seiner Entlassung aus der wegen einer zweiten Straftat nach § 175a StGB verbüßten Strafhaft erfolgte, waren demnach die beiden Verurteilungen vom 5.2.36 und 3.9.38. […] Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.“ (Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I, Bü 7774)
(Wir danken Rainer Hoffschildt für Informationen aus seinem Projekt „Namen und Gesichter“, dem ITS Bad Arolsen und dem Staatsarchiv Ludwigsburg)
© Text und Recherche bzw. Anmerkungen zu überlieferten Dokumenten: Werner Biggel / Ralf Bogen
Effektenkartei des KZ Flossenbürg, wo Karl Zeh mit der Haft-Nr. 1179 als „§ 175“-„Schutzhäftling“ registriert wurde. Interessant hierbei ist, dass auf der Kartei ein roter und kein rosa Winkel abgebildet ist (siehe 1.1.8.3, Doc-ID 11051390, ITS Digital Archive / Bad Arolsen).
Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Stuttgart, allgemein
Täterorte in Baden-Württemberg:
Landgericht Stuttgart
KZ einweisende Dienststelle: Stapoleitstelle Stuttgart / „Hotel Silber“
Gestapogefängnis Welzheim
Nach 1945:
Landgericht Stuttgart
Weitere Täterorte:
KZ Sachsenhausen
KZ Flossenbürg
KZ Auschwitz
KZ Mauthausen
KZ Ebensee