Über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region und ihren Zentren Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen ist in 2022 ein 344-seitiges Buch mit dem Titel „Queer im Leben!“ erschienen. Es enthält Beiträge von Dana-Livia Cohen, Wolfgang Knapp und Christian Könne. Alle drei Autor:innen waren 2015/16 im Auftrag des Stadtmuseums Ludwigshafen am Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Vom anderen Ufer – lesbisch und schwul, BTTIQ* in Ludwigshaften am Rhein und anderswo“ beteiligt. Das Buch umfasst auch eine DVD-Filmdokumentation, in der Ausschnitte aus Fernsehsendungen und Reportagen sowie aktuelle Zeitzeug:nnenberichte und Statements gezeigt werden.

Eine große Stärke des Buches ist es, dass es neben den negativen Themen wie Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung, auch die regionale Emanzipationsbewegung von ihren Anfängen bis heute darstellt, die gerade in den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte erzielen konnte. Im Kapitel zur Weimarer Republik finden sich weitere interessante Details über die frühen queeren Selbstorganisationen, wie wir diese bereits für Heidelberg und Mannheim auf unserer Webseite www.der-liebe-wegen.org 2017 dargestellt hatten.

Die abwechselnden, insgesamt 36 Kapitel, in denen einmal das Leben von Einzelpersonen und einmal thematische Sachverhalte im Vordergrund stehen, sowie das ansprechend bunte Layout mit 140 Farb- und Schwarz-/Weiß-Abbildungen tragen zur Lebendigkeit des Buches bei. Positiv hervorzuheben ist auch, dass neben der Vielfalt der sexuellen Orientierungen die Autoren sich bei den verschiedenen Kapiteln immer wieder bemühen, dem Thema geschlechtliche Vielfalt einen angemessenen Raum zu geben.

Im Kapitel „Verfolgung in der NS-Zeit“ werden die Verbrechen der NS-Diktatur anhand einer Übersicht jener Männer mit Bezug zur Rhein-Neckar Region sichtbar gemacht, die wegen angeblicher Homosexualität verfolgt wurden und im KZ verstorben sind. Schade finde ich, dass hier nicht deutlich gemacht wird, auf welchen Recherchearbeiten diese Übersicht überwiegend basiert. Lediglich in einer Fußnote werden neben einzelnen Publikationen auf die Liste von homosexuellen NS-Opfern aus Baden-Württemberg in der vom Sozialministerium Baden-Württemberg geförderten Wanderausstellung „Sie machen Geschichte“ hingewiesen, die auf den Recherchen unseres Projekt „Der Liebe wegen“ herrührt, wobei hier insbesondere Rainer Hoffschildt genannt werden soll, der schon seit über 30 Jahren außerinstitutionelle Recherchearbeit leistet.
Weiter wird im Kapitel „Verfolgung in der NS-Zeit“ ausgeführt: „Viele Männer aus Baden, die wegen angeblicher Homosexualität verfolgt wurden, wurden in die Emslandlager nach Rodgau oder nach Natzweiler deportiert.“ Hier wird Julia Noah Muniers Arbeit „Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert“ als Quelle in einer Fußnote genannt, wobei Munier selbst in ihrem Buch dazu auf der angegeben Seite 271 schreibt: „Im Zuge der Recherchen des Projekts ‚Der Liebe wegen. Von Menschen, die wegen ihrer Liebe und Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden“ (…) wurde die NS-Verfolgung homosexueller Männer und deren Verschleppung in Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager umfangreich dokumentiert und eine interaktive Gedenkkarte mit zahlreichen biografischen Darstellungen erstellt. Es konnte von den beteiligten Geschichtsforscher_innen und Historiker_innen in diesem Zusammenhang nachgewiesen werden, dass nach §175, §175a RStGB verfolgte Männer mit einem biografischen und/oder verfolgungsbezogenen Bezug zur Region des heutigen Baden-Württembergs u. a. verstärkt in die sogenannten Emslandlager sowie in das Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg (Hessen) verbracht wurden. Die Forschungen zeigen, das mehr als ein Fünftel der von den Forscher_innen berücksichtigten Männer, das sind rund 60 Personen, zeitweilig in einem der Emslandlager und ein Drittel dieser Gruppe zeitweilig im Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg in Hessen inhaftiert waren.“  
Dass auch die Bedeutung der Geschichtsarbeit außerinstitutioneller Akteur:innen und Initiativen wertschätzend genannt werden können, zeigt gerade Munier, wenn sie in der Einleitung ihrer Veröffentlichung schreibt: „Die vorliegende Untersuchung profitiert erheblich davon, dass zivilgesellschaftliche Akteure in Baden-Württemberg seit den 1980er Jahren in Eigeninitiative Material zusammentrugen und für die Verfolgung Homosexueller im NS-Regime gesellschaftlich sensibilisierten. (…) Zugleich knüpft diese Studie an wichtige regionale und lokale außerinstitutionelle Arbeiten zur Verfolgung homosexueller Männer nach §175 (R)StGB in Baden und Württemberg an ((S. 11ff„. Als „besonders hervorzuheben“ nennt Munier das „Bildungs- und Aufklärungsprojekt ‚Der Liebe wegen‘“.

Trotz dieser Mängel in der Quellennennung und Darstellung jener Akteur:innen, die als Teil der Emanzipationsbewegung Geschichtsarbeit geleistet haben, ist das Buch eine wichtige Bereicherung zur Sichtbarmachung queeren Lebens in der Rhein-Neckar-Region.

Ralf Bogen