2024: „Wir haben als Kirche (…) oftmals Diskriminierung und Verfolgung mit befördert“ – Geplante Aufarbeitung der Geschichte der NS-Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart
In einer Andacht vor dem Kirchenparlament hat der ehemalige Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Frank Otfried July, bereits 2019 um Vergebung gebeten für das Unrecht, das von seiner Landeskirche an gleichgeschlechtlich orientierten Menschen begangen wurde. Im Evangelischen Pressedienst vom 5. Juli 2019 hieß es im Beitrag „Bischof July bittet um Vergebung für Unrecht gegenüber Homosexuellen“:
„Die Ausgrenzung homosexueller Menschen habe in Baden-Württemberg eine lange, leidvolle Geschichte, sagte July: In der NS-Zeit seien etwa 10.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt worden. Doch auch nach 1945 hätten homosexuelle Menschen Angst vor Strafverfolgung gehabt und wurden erst nach ihrem Tod rehabilitiert. Zu dieser Geschichte der Gewalt und Diskriminierung haben auch die Kirchen beigetragen, so July. Sie seien nicht für den Schutz von gleichgeschlechtlich Liebenden eingetreten. Die Kirche habe nicht den Mund aufgemacht, wo es nötig gewesen wäre.“
Ebenso am 5. Juli 2019 hat die Evangelische Landeskirche Württemberg die Pressemitteilung „Bitte um Vergebung für Umgang mit Homosexuellen“ veröffentlicht, in der es heißt:
„Wir haben als Kirche im Schutz und Eintreten für gleichgeschlechtlich liebende Menschen in der Vergangenheit oftmals Diskriminierung und Verfolgung mit befördert.“ (…) Der Landesbischof (…) wies darauf hin, dass „in der Vergangenheit bis in die Gegenwart gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen Unrecht, Verachtung, Ausgrenzung und Leid widerfahren ist: in unserer Gesellschaft – und auch in unserer Kirche.“ (…) July wies darauf hin, dass in vielen Ländern der Welt homosexuelle Menschen nach wie vor verfolgt, geächtet, mit dem Tode bedroht oder hingerichtet würden. (…) „Wir als Christen in der Gemeinschaft der Kirchen (…) haben für Menschenrechte und Menschenwürde, also konkret: die Rechte auch dieser Schwestern und Brüder, für ihre Würde einzutreten und sie öffentlich zu bezeugen.“ (…) „Für die vielen schmerzhaften Erfahrungen, die gleichgeschlechtlich empfindenden Mitchristinnen und -christen und Mitmenschen in und durch unsere Kirche machen mussten, bitten wir um Entschuldigung vor Gott und den Menschen.“
Der NS-Verfolgungsbereich „Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung“ wurde in Stuttgart maßgeblich von zwei Orten aus betrieben: zum einen von der Gestapo in der heutigen Dorotheenstraße 10, deren Gebäude als „Hotel Silber“ bekannt ist, und zum anderen vom ehemaligen Polizeipräsidium, das ab 1936 als Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart bezeichnet wurde und seinen Sitz in der Büchsenstraße 37 hatte. Hier war ein Polizeigefängnis untergebracht, welches im Volksmund „Büchsenschmiere“ genannt wurde.
Wir vom Projekt „Der Liebe-wegen“ begrüßen es, dass deren Geschichte mit Schwerpunkt auf die NS-Zeit durch das Evangelische Bildungszentrum Hospitalhof Stuttgart und die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ aufgearbeitet wird und dass bei der geplanten Erstellung einer Monografie und Ausstellung auch die Geschichte der homosexuellen NS-Opfergruppe berücksichtigt werden soll.
Wir wurden angefragt, ob dabei auch auf unsere Forschungsarbeiten von unserem Projekt „Der-Liebe-wegen“ zurückgegriffen werden darf, was wir gerne bejaht haben und unterstützen. Wir hoffen insbesondere, dass in der Monographie nicht nur die von uns aufgearbeitete Biografien um ein paar Details erweitert wiedergegeben werden, sondern dass auch aufgearbeitet und aufgezeigt wird, wie die Evangelische Kirche selbst in Württemberg zur Geschichte der Gewalt und der Diskriminierung von queeren Menschen in der NS- und Nachkriegszeit konkret beigetragen hat (– siehe die Zitate oben des ehemaligen Bischof July und der Pressemitteilung der Evangelischen Kirche Württemberg –) , nicht zuletzt ideologisch durch eine Theologie, „die queeren Menschen eine Gottebenbildlichkeit absprach oder diese in Frage stellte“ (zitiert nach „Bitte um Vergebung“ Erklärung der Evangelischen Kirche Berlin Brandenburg-schlesische Oberlausitz zur Schuld an queeren Menschen anlässlich des Gottesdienstes am Vorabend des Christopher Street Days am 23. Juli 2021).
Das Anliegen der Neugestaltung der Gedenktafel am Leonhard-Lechner-Weg
Wir begrüßen das Vorhaben der Aufarbeitung insbesondere vor dem Hintergrund, dass die während der NS- und in der Nachkriegszeit verfolgten homosexuelle Männer von der Erinnerungskultur der evangelischen Kirche ebenso wie von staatlichen Stellen Jahrzehnte lang nach 1945 nicht als NS-Opfergruppe anerkannt und benannt wurden. Der problematische Umgang zeigt sich noch bis heute im ausgewählten Text der Gedenktafel am Leonhard-Lechner-Weg sowie auf der Webseite des Hospitalhofs zu dieser Gedenktafel (siehe https://www.hospitalhof.de/ueber-uns/geschichte-des-hospitalhofs/gedenktafel/ – Stand 10.1.2024), wo es heißt:
„Im Gebäude des Stuttgarter Dominikanerklosters und späteren städtischen Hospitals war seit 1895 das Polizeigefängnis untergebracht. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier Mitbürgerinnen und Mitbürger gequält und gedemütigt. Im Gedenken an Sinti und Roma, die dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. Im Gedenken an jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die entrechtet, deportiert und ermordet wurden. Im Gedenken an alle, die aus politischen und religiösen Gründen verfolgt wurden.“
Wir vom Projekt „Der-Liebe-wegen“ verfolgen das Anliegen, dass die Gedenktafel möglichst bald überarbeitet wird und sie künftig auch an jene erinnert, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder aus weiteren Gründen verfolgt wurden (siehe zum Beispiel die wegen §218-verfolgte NS-Opfergruppe). Eine solche Neugestaltung der Gedenktafel ist eine einmalige Chance, die Tradition der Ausgrenzung und Diskriminierung überzeugend hinter sich zu lassen und den oben dargestellten Worten des ehemaligen Bischofs July von 2019 deutlich wahrnehmbare Taten folgen zu lassen.
Wir freuen uns über die Rückmeldung von Monika Renninger, der Leiterin des Hospitalhofs, die das Anliegen unterstützt und sich für die Umsetzung dieses Anliegen einsetzen möchte bzw. bereits einsetzt.
Ralf Bogen
Siehe zum Thema auch den Queer-Beitrag „Evangelischer Kirchentag: Nach 54 Jahren erstmals der Männer mit dem rosa Winkel gedacht„, indem es unter anderem bereits in 2015 heißt: „Pfarrerin Monika Renninger fand bei der Gedenkstunde in Stuttgart deutliche Worte: ‚Unsere Kirche muss sich der Mitschuld stellen'“.
Die Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart – eine von 14 Kriminalpolizeileitstellen im Deutschen Reich:
(Auszüge aus dem Beitrag von Ralf Bogen auf unserer Webseite (siehe https://der-liebe-wegen.org/1933-1945/#kapitel5 ).
Die Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart gehörte nach der im Runderlass vom 26. Juni 1936 geregelten “Neuordnung der staatlichen Kriminalpolizei” zu den insgesamt 14 Kriminalpolizeileitstellen im Deutschen Reich. Ihr waren die Kriminalpolizeistellen Stuttgart (einschließlich Sigmaringen), Karlsruhe, Kaiserslautern und Saarbrücken zugeordnet. Die von Ernst Lauer geleitete Leitstelle war in acht Dienststellen unterteilt, wobei die mit der Verfolgung homosexueller Männer verbundenen Aufgaben von der Dienststelle 6 “Sittlichkeitsverbrechen” mit einem sogenannten “Sittentrupp” zu bewältigen waren. (1)
(…) Die Zahl der von der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart aufgrund § 175 ermittelten Täter betrug im Jahre 1937 1.412 und im Jahre 1938 1.159. Für 1939 ist lediglich die Zahl für das 1. Vierteljahr mit 264 Täterermittlungen bekannt. (2) Insgesamt waren es damit im Zeitraum von 1937 bis zum ersten Vierteljahr 1939 2.835 ermittelte § 175-Täter. Aus überlieferten Gerichts-, Gefängnis- oder Spruchkammerunterlagen des Staatsarchivs Ludwigsburg geht hervor, dass der Polizei Homosexuellentreffpunkte bekannt waren. In Stuttgart waren dies zum Beispiel der Hauptbahnhof, der Schlosspark, die öffentliche Bedürfnisanstalt am Friedrichsbau sowie die städtischen Schwimmbäder Büchsenbad und Inselbad in Stuttgart-Untertürkheim.
KZ-Einweisungen in den Bezirken der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart
Nach Ablauf der verbüßten Haftzeit forderten die in Baden und Württemberg zuständigen Kriminalpolizeistellen von den jeweiligen Gefängnisleitungen eine Stellungnahme zu den einzelnen Gefangenen. Sie wies diese an, die Häftlinge nach Strafverbüßung nicht freizulassen, sondern wegen Prüfung der Vorbeugungshaft, sprich: KZ-Einweisung, an die Kriminalpolizeistellen zu überweisen (siehe z. B. entsprechende Korrespondenzen zwischen der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart und dem Zuchthaus Ludwigsburg bzw. Gefängnisse Ulm vom April 1940 bei Friedrich Enchelmayer, vom Juli 1940 bei Albert Fendel, vom Dezember 1940 bei Otto Schorer oder vom Oktober 1941 bei Gallus Stark).
In der Richtlinie vom 4. April 1937 zum Erlass “Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei” war als Einweisungsort für Männer aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart das KZ Dachau bei München bestimmt, in das bis zur Errichtung des KZ Natzweiler-Struthof 1941 die meisten der der Homosexualität beschuldigten Männer eingewiesen wurden. (3) Überlieferte Dokumente über KZ-Einweisungen folgender Männer belegen die Praxis der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart und der ihr zugeordneten Kriminalpolizeistellen:
- Friedrich Enchelmayer: Einweisung am 1. Juni 1940 in das KZ Dachau durch die „Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart“
- Gottlob Doderer: Einweisung am 7. September 1940 in das KZ Dachau durch die „Kripo Stuttgart“
- Albert Fendel: Einweisung am 21. September 1940 in das KZ Dachau durch die “Kripoleitstelle Stuttgart“
- Oskar Ragg: Einweisung am 10. Januar 1941 in das KZ Dachau durch die „Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart“
- Karl Lohmele: Einweisung am 7. April 1941 in das KZ Stutthof durch die „Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart“
- Edwin Blattner: Einweisung am 16. Juni 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Stuttgart“
- Adolf Ferrari: Einweisung am 5. September 1941 in das KZ Dachau durch die „Kripo Metzingen“
- Karl Aretz: Einweisung am 22. September 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Karlsruhe“
- Heinz M.: Einweisung am 6. Oktober 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Ludwigshafen“
- Gottlob Giess: Einweisung am 27. Oktober 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Stuttgart“
- Kurt Baumgart: Einweisung am 22. Dezember 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Karlsruhe“
- Gallus Stark: Einweisung am 29. Dezember 1941 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Ulm“
- Gerhard Fries: Einweisung am 16. März 1942 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Karlsruhe“
- Wilhelm Keil: Einweisung am 6. Juli 1942 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Stuttgart“
- Friedrich Hauser: Einweisung am 17. August 1942 in das KZ Flossenbürg durch die „Kripo Karlsruhe“
- Oktav Andlaw: Einweisung am 8. Oktober 1942 in das KZ Dachau durch die „Kripo Karlsruhe“
- Johannes Kolb: Einweisung am 30. Dezember 1942 in das KZ Natzweiler durch die „Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart“
- Georg Flösser: Einweisung am 23. Juli 1943 in das KZ Natzweiler durch die „Kripo Karlsruhe“
Quellen:
(1) Christian Kaufmann: “Die Stuttgarter Kriminalpolizei im Dritten Reich – ein unrühmlicher Teil deutscher Polizeigeschichte”, Diplomarbeit der Hochschule für Polizei Villingen-Schwenningen, Oktober 2010.
(2) Rainer Hoffschildt: Statistik der Verfolgung homosexueller Männer im heutigen Land Baden-Württemberg – 1882–1994, unveröffentlichtes Manuskript, Hannover 2011.
(3) Günter Grau (Hrsg.): Homosexualität in der NS-Zeit – Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, Frankfurt 1993, S. 188ff. In der Richtlinen vom 4. April 1938 zum Erlaß „Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ heißt es unter II. Durchführung: -„bei Männern aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstellen Königsberg, Berlin-Stettin, Hamburg, Bremen, Breslau und Hannover z. Zt. in Sachsen b. Oranienburg, aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstellen Dresden, Düsseldorf, Halle und Köln z. Zt. in Buchenwald b. Weimar, aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstellen München, Stuttgart, Frankfurt a. M. und Juden aus allen Bezirken z. Zt. in Dachau b. München.“
Tarnung und Selbstverleugnung als Folge der staatlich verordneten Zwangsheterosexualität
Aus Protokollen von Stuttgarter Polizeivernehmungen im Juli 1933
Der Paragraph 175 war 1933 noch nicht durch die Nazis verschärft worden, sodass wechselseitige Onanie zwischen erwachsenen Männern noch nicht strafbar war und dadurch leichter zugegeben werden konnte:
„Meinen ersten normalen Geschlechtsverkehr hatte ich im Frühjahr 1929 mit einer Sängerin am Landestheater, die ich sehr liebte. Bis zu diesem Zeitpunkt und auch seither habe ich meine geschlechtliche Befriedigung z. T. darin gefunden, dass ich mit einer Anzahl gleichaltriger Männer gegenseitig onanierte…. Ich unterhalte übrigens seit neuerer Zeit ein wirkliches Liebesverhältnis zu einer Frau, die ich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch liebe, sodass ich die Hoffnung haben darf, dass nunmehr meine bisexuelle Veranlagung zurückgedämmt ist. Diese Hoffnung habe ich um so mehr, als ich auch den ernsten Willen habe, meine Abnormität zu bekämpfe. Ich will jetzt ein gesunder Mensch werden.“
– aus der Vernehmung von Walter L., geb. 1907, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933
„Der Grund, warum seit dem letzten Vorfall (homosexuelle Handlung ist hier gemeint, Anm. d. A.) zwischen Ostern und Pfingsten 1933 nicht die Vorfälle wiederholt haben ist der, dass ich um diese Zeit die Bekanntschaft mit einem Mädchen in Birkach gemacht habe. Ich möchte bitten, dass mir unterlassen bleibt, den Namen des Mädchens zu nennen. Zwischen dem Mädchen und mir hat sich ein mit Geschlechtsverkehr verbundenes Liebesverhältnis entwickelt und dies ist der Grund, warum ich mich von W. zurückgezogen habe…..Ich bin geschlechtlich durchaus normal veranlagt und bin zu Handlungen mit W. einzig und allein von diesem veranlasst worden….Ich war mir selbstverständlich klar darüber, das, was ich mit W. getan habe, an sich eine Schweinerei ist. Ich konnte aber dem Drängen von W. nicht widerstehen, denn er ist ja der wesentlich Ältere von uns beiden, hat mir viel Gutes getan, allerdings in anderer Beziehung einen guten Einfluss auf mich ausgeübt“
– aus der Vernehmung von Otto M.., geb. 1914, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933)
„Bis zum Jahre 1928 habe ich von gleichgeschlechtlichen Regungen an mir nichts verspürt. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Reihe von Damen intime Beziehungen unterhalten und hatte hierbei stets meine volle Befriedigung gefunden….. Ich habe zu dieser meiner anormalen Veranlagung der letzten Jahre jedoch anzugeben, dass ich in der letzten Zeit den festen Willen hatte, mich wieder in ein normales Geschlechtsleben zurückzufinden…. Ich hatte auch in den letzten Wochen Verbindungen mit der Schauspielerin Anni W. am Stadttheater Freiburg angeknüpft. Mit dieser Anni W. wollte ich eine Ferienreise unternehmen bei der ich mich dann wieder wohl bestimmt in normale Geschlechtsverhältnisse zurückgefunden hätte“
– aus der Vernehmung von Ernst W. geb. 1893, durch das Polizeipräsidium Stuttgart im Juli 1933
Aus Protokollen von Polizeivernehmungen von 1940 und 1944
„Im Sommer 1933 war ich im Hotel und Kurhaus Neues Leben. Hier lernte ich einen Gärtner kennen, dessen Namen mir aber nicht mehr bekannt ist. Mit diesem Gärtner habe ich mich in sittlicher Beziehung verfehlt. Wir haben beide gegenseitig onaniert. Ich wurde damals mit 1 Jahr Gefängnis bestraft… Ich kann aber nicht zugeben, dass ich homosexuell veranlagt bin. Ich habe schon öfters Reisen nach Paris, Monte Carlo und Italien gemacht. Hier hatte ich genügend Gelegenheit um Anschluss mit Frauen zu finden und hatte ich es nicht notwendig mich homosexuell zu betätigen….Nachdem ich 1935 wegen der widernatürlichen Unzucht bestraft war und furchtbar büßen musste, auch immer wieder von meinen Angehörigen vorgehalten bekam, dass ich diese Schmach über die Geschwister und über meinen alten Vater gebracht hatte, kam keine derartige Regungen für mich in Frage… Wenn mir nun vorgehalten wird, dass ich in meinem Besitz noch Adressen von jungen Männer gefunden wurden und der Verdacht besteht, dass ich mich diesen auch in sittlicher Hinsicht genähert haben könnte, so muß ich hierzu folgendes angeben….“
– aus der Vernehmung von Ludwig S., geb. 1985, im April 1940.
Ludwig S. macht zu sieben Männern Angaben, die mit ihm im Hotel Royal in Stuttgart beschäftigt waren und bestreitet mit diesen „in sittlicher Beziehung“ etwas zu tun gehabt zu haben. Die Stuttgarter Kriminalpolizei verhörte daraufhin alle sieben Männer nach §175-„Verfehlungen.“ „Sollte ich mich je verfehlt habe, so, bitte ich, meine Veranlagung dabei etwas zu berücksichtigen. Ich weiß, dass derartiges verboten ist. Vor etwa einem Jahr stand ich wegen einer ähnlichen Sache vor Gericht. Ich habe mir damals fest vorgenommen, nie wieder straffällig zu werden. Meine Veranlagung war jedoch stärker wie mein Wille. Mein Familienverhältnis sind geordnet. Mit meiner Frau lebe ich im besten Verhältnis. Nach meiner letzten Bestrafung habe ich mir vorgenommen, mich nur noch meiner Familie und meinem Beruf zu widmen. Ich glaube, dies auch durchführen zu können. Leider ist mir nun wieder das passiert.“
– aus der Vernehmung der Generdamerie-Kreis Esslingen von Paul F. im März 1944