Ernst Haug
* 12.1.1897 Schwäbisch Gmünd
Mit dem Betreff „Zuchthausgefangenen, ehem. Hauptfeldwebel Ernst Haug, 12.1.1897 Schwäbisch Gmünd geb., wegen Homosexualität“ schrieb am 16. September 1944 das Reichskriminalpolizeiamt – Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität – gez. Botte – an den Herrn Vorsteher des Strafgefangenenlagers VII in Esterwegen: „Auf Ersuchen des Gerichts der Division Nr. 176 soll Haug von hier hinsichtlich seiner Veranlagung gutachtlich beurteilt werden. Hierzu ist genaue Kenntnis seines Vorlebens, insbesondere aber seines sexuellen Werdegangs – Geschlechtsreife, geschlechtliche Betätigung pp. – erforderlich. Es wird gebeten, diesbezüglich seine Vernehmung zu veranlassen. Wann hatte H. seine ersten homosexuellen Erlebnisse, was war ihre Ursache? Wann hatte er den ersten Umgang mit Frauen, wann den ersten Geschlechtsverkehr mit ihnen? Empfand er Befriedigung bei diesem Verkehr? Adressen von Frauen, mit denen er noch außerehelich geschlechtlich verkehrt haben will, sind anzugeben, damit seine Angaben nachgeprüft werden können. Haug ist auch über Kriminalität oder sonstige Auffälligkeiten in seiner Familie zu befragen. Wie denkt er über seine geschlechtliche Veranlagung?“
Die Spruchkammer Schwäbisch Gmünd erließ zu Haug am 22. Januar 1947 folgenden Spruch:
„1) Der Betroffene ist Belasteter. 2) Er wird zu 1 ½ Jahren Sonderarbeiten herangezogen“. Zur Begründung dieser Bestrafung wurde aufgeführt: „Der Betroffene war bis zum Beginn des 2. Weltkrieges kaufmännischer Angestellter bei den städtischen Werken in Schwäbisch Gmünd. Im Jahre 1940 wurde er wegen Vergehens gegen § 175 RStGB von einem Militärgericht verurteilt und in ein Soldatenkonzentrationslager Esterwegen gebracht […]. Er selbst hat zugegeben, ein überzeugter Nationalsozialist gewesen zu sein. Die Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass der Betroffene andere Leute mindestens beobachtet, wenn nicht gar bespitzelt hat, und dass er Ergebnisse seiner Beobachtungen der Kreisleitung gemeldet hat. So hat er sich über abfällige Äußerungen des Bankdirektors Leiberich Notizen gemacht. Er hat ferner von seinem Büro im Rathaus aus die Zusammenkunft von KPD-Angehörigen beobachtet und hierüber einen Bericht an die Kreisleitung geschrieben.“ Im Spruch wurde auch Positives über Haug festgehalten: „Der Betroffene hat in den Soldatenkonzentrationslager politisch Andersdenkenden geholfen und sich stets sehr kameradschaftlich dort gezeigt.“
Wie dachte Haug selbst über seine Vergangenheit als „Parteigenosse“ und über sein weiteres Schicksal nach 1945? Er schrieb dazu: „Am 8.September 1939 wurde ich zur Wehrmacht eingezogen als Feldwebel […], war bis 1.12.1939 beim Inf.Erst.Batl. 470 und kam dann zur 1. Komp. Inf. Regt. 308. Dort wurde ich am 1. Mai 1940 Ober- bzw. Hauptfeldwebel. Am 5. Okt. 1940 wurde ich in Frankreich festgenommen und am 19.10.40 vom Feldgericht der 198. Inf. Div. verurteilt. Ich wurde daraufhin aus der Partei ausgestoßen, ebenso aus ihren Organisationen und auch als Städt. Angestellter entlassen. Da die angesprochene Strafe erst nach Kriegsende zu zählen beginnen sollte, wurde ich am 31.12.1940 in das als Strafgefangenenlager VII getarnte Soldaten-Konzentrationslager (SKz) Esterwegen (Emsland-Moor) verbracht, in dem ich bis Anfang April 1945 einsaß. Ich wurde dann über das Vernichtungslager Aschendorfermoor am 15.4.1945 wieder zur Wehrmacht ausgehoben, mit der Angabe, dass die Strafe gelöscht sei. Über die KZ-Zeit (die Soldatenlager durchliefen während des Kriegs rund 100.000 Mann, von denen dort etwa 15.000 Mann starben), über die Vernichtung in Aschendorfermoor und über den Schluss-„Einsatz“ bei der Wehrmacht habe ich in einem brit. Internierungslager ausführliches Protokoll gegeben.“
Über seine Erfahrungen in den Moorlager schrieb er: „Ich habe in der Anlage: „S-KZ, Soldaten-Konzentrations-Lager“ einen Teil der dortigen Erlebnisse niedergelegt. Einen wichtigen Teil über das Lagerleben selbst konnte ich noch nicht ausarbeiten, da ich hierzu seelisch und körperlich noch nicht in der Lage war. Mein Leben schloss ab mit dem Eintritt in das Lager. Ich hatte alles verloren: Familie, Gut, Stellung, Freiheit und Ehre. Ich stand in ESTERWEGEN, das den Namen trug „Die Hölle am Waldesrand“, allein. Post von Angehörigen blieb erst jahrelang aus, die Post eines Freundes der mir anfangs schrieb, ging von Lagerseite mit der Notiz „Bei einem Fluchtversuch erschossen“ zurück. […] 52 Monate Leiden und Erniedrigungen, Unmenschlichkeiten und Hunger ließen in mir den Glauben an die Menschlichkeit, an die Gerechtigkeit des Schicksals trotzdem erhalten. Ich fand dort die Erfüllung Mensch unter Menschen zu sein, es sollte Sühne sein für meine eigene Tat, die mich dorthin brachte, aber auch Sühne dafür, dass ich Jahre dieser Wahnidee gedient hatte, gedient in der Meinung der Ehrlichkeit der Führung. Immer verbitterter wurde meine Haltung gegen den Nazismus, je mehr Leidensgenossen kamen. Etwa 70% der Häftlinge waren politischer Art. Hier in Süddeutschland war fast gar nichts von diesen Lagern bekannt, obwohl etwa Hunderttausend Soldaten während des Krieges die sechs Emslandlager durchliefen. Ich habe in meinem Tatsachenbericht über das Lager meine Meinung, meine gewonnene und erhärtete Überzeugung dargestellt. (….) Nur drei meiner Leidensgefährten und zwar nur solche politischer Art weiß ich noch am Leben. […] Jegliches Adressenmaterial aus dem Lager ESTERWEGEN ist mir vernichtet, wie auch die meisten Kameraden tot oder verschollen sind. Und immer wieder hält man sich vor Augen: Es wird jemand, der nicht selbst nackt an diesen Stätten stand, kaum begreifen können, was es bedeutet, dort Mensch gegen Menschen gewesen zu sein, welche Läuterung durchstanden werden musste, um den Mut zu behalten zur Selbsterhaltung inmitten all dieser am Rande des Lebens gestrandeten Kriegsschicksale. Dort wurde das Menschenrecht nicht nur bildlich sondern in der Tat mit Füssen getreten und ausgepeitscht. […] Ich überstand die unmenschlichsten Erlebnisse. […] Ich selbst kenne jetzt besser als jeder andere die Untaten des Nazismus. Mein Leben unter ihrer Knute war verwirkt. Ich habe in meinen Moor-Erinnerungen […] festgelegt, dass ich es einzig und allein dem Sieg der Vereinten Nationen verdanke, dass ich lebe.“
(Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 902/7 Bü 5352).
(Wir danken Rainer Hoffschildt für Informationen aus seinem Projekt „Namen und Gesichter“ und dem Staatsarchiv Ludwigsburg)
© Text und Recherche bzw. Anmerkungen zu überlieferten Dokumenten: Werner Biggel / Ralf Bogen
Haugs Bericht mit dem Titel: „S-KZ“ – Soldaten-Konzentrations-Lager. Ein Tatsachenbericht aus dem S-KZ – Lager Esterwegen im Emslandmoor. Über die Zeit vom Dezember 1940 bis April 1945. Gegeben von dem ehm. Häftling Nr. 1918 / 40 Ernst Haug“ kann hier gelesen werden: bericht_aus_dem_lager_esterwegen_ernst-haug (Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 902/7 Bü 5352).
Weitere Informationen zu Ernst Haug finden sich im 14.7.2023 veröffentlichten Beitrag „Von der Wehrmacht ins Emsland-KZ: Wie § 175 einen schwulen Gmünder aus der Konformität ins Elend riss“ von Niklas Konzen / Geschichtswerkstatt “Einhorn sucht Regenbogen“
Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Schwäbisch Gmünd, allgemein
Täterorte:
Strafgefangenenlager Esterwegen
Strafgefangenenlager Aschendorfer-Moor