Arthur Dieterich
* 1.12.1913 Biberach an der Riß
Der Werkzeugmacher Arthur Dieterich, evangelisch und ledig, ist am 1. Dezember 1931 Mitglied der SS mit der Nummer 16818 geworden. Am 2. Juli 1933 kam er zur SS-Bereitschaft Reutlingen und im Februar 1934 nach Ellwangen, wo er im Jahr 1935 zum SS-Scharführer bei der IV.SS.Deutschland befördert wurde. Seine weitere Karriere im NS-System fand ein abruptes Ende durch den Vorwurf der Homosexualität, den ihm untergebene SS-Mitglieder erhoben hatten. Bei seiner deswegen von der SS Ellwangen durchgeführten Vernehmung räumte Dieterich am 6. September 1937 ein: „Ich gebe zu, dass ich […] dem SS-Unterscharführer Edelmann in die Unterschenkel kniff. Ich tat es im Spaß und aus einem gewissen Übermut, hervorgerufen durch den Alkoholgenuss. Ich glaube mich entsinnen zu können, dass SS-Unterscharführer Edelmann das Kneifen erwiderte, sodass daraus schließlich eine Balgerei entstand.“ Zu seiner sexuellen Orientierung äußerte er sich dabei wie folgt: “Irgendwelche geschlechtliche Rührungen sind mir hierbei nicht gekommen, schon deshalb nicht, weil ich sonst völlig normal veranlagt bin. Ich unterhalte Beziehungen zu mehreren Mädchen freundschaftlicher Art, zum Beispiel zu einem Fräulein Emma S. in Dischingen, zu einem Fräulein D. in Ellwangen, und einem Fräulein Gertrud S. in Ellwangen. […] Ich habe wiederholt Geschlechtsverkehr mit Mädchen gehabt. Das letzte Mal vor ca. 14 Tagen. Die letzte Bekanntschaft eines Mädchens machte ich vor ungefähr 8 Tagen in Stuttgart.“ (siehe StAL E 343 Bü 12).
Auf Ersuchen des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Ellwangen wurde Dieterich am 17. November 1938 erneut verhört, dieses Mal durch die Geheime Staatspolizei Staatspolizeistelle Stuttgart, Außendienststelle Ellwangen wegen Verfehlungen gegen §§ 175 und 175a StGB. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung beim Landgericht Ellwangen. Dieses verurteilte Dieterich am 25. Januar 1939 wegen „4 Verbrechen der versuchten Bestimmung eines Abhängigen zur Unzucht, je in Tateinheit mit 1 Vergehen der Unzucht zwischen Männern und wegen 3 weiterer solcher Vergehen“ zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis (siehe StAL E 343 Bü 12). Nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe in Ulm wurde er auf Veranlassung der Geheimen Staatspolizei in Stuttgart am 4. Mai 1940 in das KZ Dachau eingewiesen, wo er die Häftlingsnummer 7205 erhielt (bzgl. „Schutzhaftnahme“ siehe Schreiben des Oberstaatsanwalts bei dem Landgericht Ellwangen an den Kommandeur des Kradschützen-E.Battl. vom 15. Dezember 1939, StAL E 343 Bü 12). Vom 16. August 1940 bis zum 30. Juni 1942 war er im KZ Mauthausen und kam dann wieder zurück in das KZ Dachau, jetzt mit der Häftlingsnummer 20710. Am 6. Januar 1945 wurde er dort entlassen.
Auch nach 1945 stand Dieterich mehrfach vor Gericht, aber nicht etwa wegen seiner SS-Vergangenheit, sondern ausschließlich wegen homosexuellen Handlungen. Am 24. Oktober 1950 wurde er vom Schöffengericht Biberach wegen „12 Verbr. der versuchten und 2 Verbr. der vollendeten Verführung zu gleichgeschlechtlicher Unzucht, begangen in der Zeit von Sommer 1946 bis April 1950, zu einer Gesamtstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten Gefängnis“ verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in eine Heilanstalt angeordnet. Dementsprechend verbrachte er ca. sieben Monate im Psychiatrischen Landeskrankenhaus Schussenried (siehe StAL Ober- u. Mittelbehörden, Justizministerium, EL 336 I Bü 2674).
Im Januar 1956 soll Dieterich versucht haben, einen 15-Jährigen zur „Unzucht“ zu verführen. Deshalb wurde er am 5. Juni 1956 vom Schöffengericht Biberach ein weiteres Mal zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt. Im Urteil heißt es: „Mildernde Umstände konnten dem Angeklagten bei seinen einschlägigen Vorstrafen nicht mehr zugebilligt werden. Die vielen Vorstrafen haben den Angeklagten nicht abgehalten, immer wieder rückfällig zu werden.“ (siehe StAL Ober- u. Mittelbehörden, Justizministerium, EL 336 I Bü 2674).
(Wir danken Rainer Hoffschildt für Informationen aus seinem Projekt „Namen und Gesichter“, Albert Knoll vom Archiv Dachau und dem Staatsarchiv Ludwigsburg)
© Text und Recherche bzw. Anmerkungen zu überlieferten Dokumenten: Werner Biggel / Ralf Bogen
Verhörprotokoll der Geheimen Staatspolizei Staatspolizeileitstelle Stuttgart / Außendienststelle Ellwangen sowie Schreiben des Oberstaatsanwalts beim Landgericht Ellwangen
(Staatsarchiv Ludwigsburg E 343 Bü 12)
Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Biberach an der Riß, allgemein
Täterorte in Baden-Württemberg:
Landgericht Ellwangen
Haftanstalt Ulm
Geheime Staatspolizei Staatspolizeistelle Stuttgart / Außendienststelle Ellwangen
KZ-einweisende Dienststelle: Geheime Staatspolizei in Stuttgart
nach 1945:
Schöffengericht Biberach
Psychiatrisches Landeskrankenhaus Schussenried
Weitere Täterorte:
KZ Dachau
KZ Mauthausen