* 28.6.1911 Magdeburg

Ernst Wöllner wurde am 28. Juni 1911 in Magdeburg geboren und besuchte dort auch die Bürger- und die Realschule. Von 1928 bis 1932 fuhr er als Matrose auf verschiedenen Schiffen zur See. Schon Anfang 1931 trat er 20-jährig in die NSDAP und SA ein. Er bekannte sich also recht früh zum Nationalsozialismus. Aus der SA in Halle wurde er im November 1935 wegen gleichgeschlechtlicher Betätigung mit einem Unterfeldjäger und im Juni 1936 auch aus der NSDAP ausgeschlossen. Im Oktober 1938 verurteilte ihn die große Strafkammer des Landgerichts Magdeburg 27-jährig wegen gleichgeschlechtlicher Betätigung in 22 Fällen zu drei Jahren und zwei Monaten Gefängnis. Anfang Dezember 1941 hatte er seine Strafe verbüßt und man entließ ihn nun 30-jährig. Nach seiner Entlassung hielt er sich im Bodenseeraum auf. Fast drei Jahre später wurde er am 17. August 1944 nun 33-jährig vom Landgericht Konstanz erneut wegen Homosexualität verurteilt, diesmal aber aufgrund § 175a Ziffer 3 StGB, Verführung Minderjähriger zur widernatürlichen Unzucht in vier Fällen zu drei Jahren Zuchthaus mit darauffolgender Sicherungsverwahrung, also zu unbegrenzter Haft. Der Staatsanwaltschaft Konstanz erschien dieses Urteil zu günstig und sie legte dagegen Revision ein. Es wurde tatsächlich aufgehoben und an das Landgericht Konstanz zurückverwiesen. Dieses fällte am 8. Februar 1945, exakt drei Monate vor Kriegsende in Europa, das Todesurteil gegen Ernst Wöllner Nun wurde er als „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ eingestuft und wie gehabt wegen Verführung Minderjähriger zur widernatürlichen Unzucht in vier Fällen verurteilt; die bürgerlichen Ehrenrechte wurden ihm auf Lebzeiten aberkannt. Das Gericht kam zu folgender Auffassung:

„Das Gericht hat nach alledem keinen Zweifel, daß der Angeklagte ein unverbesserlicher Volks- und insbesondere Jugendverderber von solcher Gefährlichkeit und von solchem Unwert der Persönlichkeit ist, daß die Allgemeinheit nur durch den Tod vor ihm geschützt werden kann, und der auch durch die hemmungslose und unverbesserliche Art, mit der er seit vielen Jahren durch seine gleichgeschlechtliche Betätigung dazu beigetragen hat, die Moral des Volkes zu untergraben und der heranwachsenden männlichen Jugend zu verderben, so schwere Schuld auf sich geladen hat, daß er auch um der gerechten Sühne willen, die Todesstrafe verdient hat. Die wenigen Umstände, die zu Gunsten des Angeklagten sprechen – daß er als Arbeiter seine Pflicht erfüllt und seine Mutter bis zu deren Tod geldlich unterstützt hat – können an der Notwendigkeit, den Angeklagten zum Schutze der Volksgemeinschaft dauernd unschädlich zu machen und die Folgerung daraus zu ziehen, daß sich der Angeklagte durch seine gemeinschaftsschädliche Gesinnung und die Schwere seiner Schuld selbst außerhalb der Volksgemeinschaft gestellt hat, nichts ändern.“

Aufgrund des § 1 des Reichsgesetzes vom 4. September 1941 war die Todesstrafe für gefährliche Gewohnheitsverbrecher (§ 20a StGB) möglich, „wenn der Schutz der Volksgemeinschaft oder das Bedürfnis nach gerechter Sühne es erfordern.“ Eine übersteigerte extreme Radikalität, ja blinde Wut der Justiz in den letzten Kriegsmonaten wird erkennbar. Die Todesstrafe wurde bei Homosexuellen sehr selten gefällt. Gegen dieses Urteil legte im gleichen Monat der Rechtsanwalt von Ernst Wöllner Revision ein, die zugelassen wurde. Im April 1945 wurde Ernst Wöllner in den Wirren zum Kriegsende in das Zuchthaus Kaisheim in Bayern transportiert, wo er bis zu seiner dritten Gerichtsverhandlung in Konstanz blieb. Seine Beschreibung: 1,71 m groß, dunkelblondes Haar, graue Augen. Erst im September 1946 wurde das Todesurteil in Freiburg aufgehoben und zur Neuverhandlung nach Konstanz zurückverwiesen. Bis dahin hatte Ernst Wöllner ein Jahr und sieben Monate in Todesangst leben müssen. Im Januar 1947 kam er in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen in Baden. Ein Facharzt erstellte ein 20-seitiges Gutachten über ihn. Am 1. April 1947 wurde vom Landgericht Konstanz das Todesurteil abgeändert in eine dreijährige Zuchthausstrafe, also in die Strafe, die er am 17. August 1944 auch erhalten hatte. Die Richter in der Französischen Besatzungszone übernahmen das Urteil aus der NS-Zeit. Seine Untersuchungshaft wurde aber ebenfalls mit drei Jahren angerechnet, so dass er nun 35-jährig am darauffolgenden Tag aus der Haft entlassen wurde.

Ernst Wöllner ging nach Norddeutschland. Jedenfalls bat 1974 das Finanzministerium Schleswig-Holstein das Gericht Konstanz um Auskunft über das Urteil. Ernst Wöllner hatte nun ca. 63-jährig möglicherweise im Zusammenhang mit der Verrentung einen Antrag auf Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung gestellt. Er wohnte in Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein. Homosexuelle waren in der BRD zunächst durch das Bundesentschädigungsgesetz von 1953 von einer Entschädigung völlig ausgeschlossen worden und erst durch das Allgemeine Kriegsfolgengesetz von 1957 antragsberechtigt. Bis 1986 hatten lediglich 23 Schwule einen Antrag auf Entschädigung nach diesem Gesetz gestellt. Wie vielen eine Entschädigung tatsächlich gewährt wurde, ist genauso unbekannt wie das Ergebnis des Antrags von Ernst Wöllner. Ihm dürfte schon deshalb eine Entschädigung verweigert worden sein, weil er Nationalsozialist gewesen war.

(Dieser Artikel wurde dem Autor von William Schaefer, Denzlingen, zur Verfügung gestellt. Sämtliche Informationen stammen aus einer Akte im Staatsarchiv Freiburg, Bestand D 81/1 Nr. 746. Am gleichen Tag wurde in Magdeburg auch der 45-jährige Hermann B. verurteilt.)

© Text und Recherche: Rainer Hoffschildt


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Konstanz, allgemein


Täterorte in Baden-Württemberg:
Landgericht und Staatsanwaltschaft Konstanz
Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen

Weitere Täterorte:
Landgericht Magdeburg
Zuchthaus Kaisheim