Oktav Gustav von Andlaw
* 30.4.1885 Bellingen
† 1961 Schliengen
Auch ein Adliger war unter den Opfern der Nazis in Südbaden. Graf Oktav Gustav von Andlaw wurde am 30. April 1885 in Bellingen (heute Bad Bellingen) geboren. Seine Eltern waren Robert Karl Maria Graf von Andlaw-Homburg (1852-1919) und Feodora von Andlaw-Homburg, geboren Freiin von Türcke (1863-1936). Er hatte eine ältere Schwester, Elisabeth (1883-1957). Oktav war katholisch und ledig. Als Kind hatte er Privatunterricht und diente später beim Militär, denn er führte den Titel Major a.D. Einzelheiten zu seinem Militärdienst sind nicht bekannt. 1924 wurde er erstmalig wegen § 175 verurteilt. 1937 musste die Familie ihr Schloss in Bellingen aus finanziellen Gründen verkaufen und zog in das Entenschloss in Schliengen. Im gleichen Jahr stand Oktav wieder wegen § 175 vor dem Landgericht Freiburg. Eine Prozessakte ist nicht vorhanden, noch das Register für Hauptverfahren des Landgerichts Freiburg Abt. 3. Das Register für Vorverfahren belegt aber, dass ein Prozess wegen § 175 gegen Graf von Andlaw und 4 weitere Männer im April 1937 eröffnet wurde. Er erhielt eine kurze Haftstrafe. Am 20. Oktober 1939 wurde er in seinem Schloss in Schliengen festgenommen. Die Vorwürfe: Rundfunkverbrechen (Abhören von Feindsendern) und § 175.
Nach der langen Untersuchungshaft von 16 Monaten wurde er am 3. März 1941 vom Sondergericht Mannheim zu zwei Jahren und vier Monaten Zuchthaus verurteilt. Die NS-Presse „Der Führer“ aus Karlsruhe berichtete über seine „Straftaten“:
„Der Angeklagte hat in Gegenwart fremder Hilfskräfte im Schloss nachweislich französische Sender erklingen lassen. Er hat den jungen Männern die Nachrichten der Lügentanten sogar ins Deutsche übersetzt. Noch schlimmer wurde es dadurch, dass der Graf diese Feindpropaganda weiterverbreitete! Auch nach der Kriegssonderstrafrechts-Verordnung wirkte Graf Andlaw bewusst zersetzend. Bei der Bestrafung nach § 175 des Reichsstrafgesetzbucheswurde berücksichtigt, dass hier bereits die dritte sittliche Verfehlung des Angeklagten gesühnt werden musste, und dass die Jugend des Dorfes durch sein Unwesen gefährdet wurde.“ Was die Nazis als „defätistische Einstellung“ verurteilten, war seine Gegnerschaft zum NS-Staat. Über seine Person höhnte die NS-Zeitung „Hakenkreuzbanner“ aus Mannheim:
„Von einer Gouvernante erzogen, durch Privatunterricht ängstlich von der ‚schlimmen‘ Dorfjugend ferngehalten, so wuchs der letzte seines Stammes … auf. Ein Muttersöhnchen, der sich in seiner Jugend mit Puppen- und Mädchenspielen beschäftigte. Die Nachwehen dieser Erziehung ließen sich bei dem jetzt 55jährigen noch sehr deutlich verspüren.“
Am 8. Oktober 1942 wurde er in das KZ Dachau transportiert und erhielt als Rosa-Winkel-Häftling die Nummer 37.204. Im April 1945 wurde der 60Jährige im Außenlager Bäumenheim, wo die Häftlinge für die Flugzeugwerke Messerschmitt arbeiten mussten, befreit. Er starb 1961 im Alter von 76 Jahren.
(Quellen: Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem, Microfilm Project of Yad Vashem, Dokumente des International Tracing Service (ITS), Bad Arolsen. Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau. Ich danke Albert Knoll, Gedenkstätte Dachau, für Informationen. Ich danke Prof. Rüdiger Lautmann, Berlin, der im ITS in Bad Arolsen forschte, für zusätzliche Informationen. Ich danke William Schaefer, Denzlingen, für Informationen.)
© Text und Recherche: Rainer Hoffschildt
Überliefert sind Häftlingsunterlagen des KZ Dachau mit dem oben dargestellten Lichtbild, aus denen u.a. die KZ einweisende Dienststelle in Baden hervorgeht: die „Kripo Karlsruhe“ (siehe 1.1.6.2, Doc-ID 9961701 sowie 9961710, ITS Digital Archive / Bad Arolsen – Anm. Biggel / Bogen).
Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Schliengen, allgemein
Täterorte in Baden-Württemberg:
Sondergericht und Zuchthaus Mannheim
KZ-einweisende Dienststelle: „Kripo Karlsruhe“
Weiterer Täterort:
KZ Dachau