* 10.9.1916 Schnierlach (Elsass)

† 16.11.1944 KZ Neuengamme

Emil Otto Didier wurde am 10. September 1916 in Schnierlach, bzw. französisch Lapoutroie, einem kleinen Ort im Elsass, geboren. (1) Sein Vater arbeitete dort als Vorarbeiter in einer Spinnerei und seine Mutter war Hausfrau. Er hatte noch zwei Brüder und zwei Schwestern. Seinerzeit gehörte der Ort als „Reichsland“ noch zu Deutschland, wurde aber rund drei Jahre später wieder französisch, nachdem Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Wie in der Region üblich, war er Katholik. Er blieb ledig. Nach dem achtjährigen Besuch der Volksschule an seinem Heimatort lernte Didier in Kolmar Konditor und schloss die Ausbildung nach drei Jahren mit der Gesellenprüfung ab. Danach arbeitete er vier Jahre in Straßburg in seinem Beruf. Am 1. September 1937 wurde er zum französischen Heeresdienst einberufen und blieb dort bis zum Krieg. Während des Krieges stand seine Truppe in der Nähe der Kehler Brücke, wurde aber in die Vogesen zurückgedrängt. Dort geriet er in Gefangenschaft, aus der man ihn nach zwei Wochen entließ. Aus dem Militärdienst wurde er im Rang eines Korporals, Unteroffiziers, am 14. Juni 1940 entlassen und aus der Gefangenschaft im Juli des Jahres. Er wurde von den Deutschen als „Volksdeutscher“ anerkannt, war zunächst arbeitslos, hatte dann Gelegenheitsarbeit beim Kanalbau und wurde schließlich vom Arbeitsamt als Konditor in das „Berghotel Burggraf“ auf dem Berg Schauinsland in der Gemeinde Obermünstertal im Südschwarzwald etwas südlich von Freiburg im Breisgau vermittelt. (2) Das Hotel warb damit, das „Haus in der Sonne“ und in einem „Höhenluftkurort und Wintersportplatz“ zu sein. (3) Es lag ziemlich abseits an einer Paßstraße. Am 10. Dezember 1940 begann der 24-Jährige dort seine Arbeit und verdiente zunächst 80,- und später 120,- RM im Monat bei freier Kost und Logis. Er wohnte in dem Hotel und war mit seiner Arbeit zufrieden.

Am Montag, den 15. April 1941 wurde Otto Didier in Freiburg in den Casino Lichtspielen verhaftet. Zwei Wochen zuvor hatte er dort einen 15-Jährigen unsittlich berührt und war vor Ende des Filmes gegangen. Doch die Platzanweiserin hatte Verdacht geschöpft und befrage später den Jugendlichen. Sie ließ ihn festnehmen und der Jugendliche machte bei der Kriminalpolizei eine Aussage. In der Vernehmung am 15. April gab Didier an, dass er zur Tatzeit angeheitert gewesen wäre, dass der Jugendliche sich nicht gewehrt hätte und dass er auch heterosexuellen Verkehr gehabt habe. Am 29. Mai 1941 wurde Didier wegen eines Verstoßes gegen den § 175 StGB vom Landgericht Freiburg zu drei Monaten Gefängnis, abzüglich sechs Wochen Untersuchungshaft verurteilt. (4) Strafmildernd wurde im Urteil berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft, noch recht jung und von vornherein geständig war und, „dass seine Handlung in Frankreich nicht unter ein Strafgesetz gefallen wäre.“ Das ist eine recht geringe Strafe für eine Lappalie, die vor der § 175-Verschärfung im Jahre 1935 nicht nach dem alten § 175 hätte bestraft werden können. Schon am 18. Juli 1941 kam er wieder frei und setzte seine Arbeit im Hotel Burggraf fort.

Im Hotel Burggraf wohnten die Angestellten meist in einfachen Doppelzimmern. So wohnte Didier zeitweilig mit dem 16-jährigen Kochlehrling Paul I. und dem ebenfalls 16-jährigen Hausburschen Walter H. zusammen. In regelmäßigen Abständen onanierten die Mitbewohner immer wieder einvernehmlich gegenseitig miteinander und hatten auch Schenkelverkehr. Mal ergriff der eine die Initiative, mal der andere. Kurz hatte Didier auch sexuellen Kontakt zu dem 15-jährigen Kochlehrling Erich W. Die sexuellen Kontakte blieben nicht unbemerkt, denn die Mädchen im Nebenzimmer hörten die Geräusche durch die dünne Wand. Wenn sie fragten, was dort los sei, antworten sie, dass sie Gymnastik machten. Von einem Hausmädchen bedrängt, bestritt Walter H. zunächst sexuelle Handlungen, sagte dann aber: „Wir haben uns eben gern und daran könnt Ihr nichts machen.“ (5) Unter den Angestellten wurde über sie getuschelt. Die Sache flog aber nur deshalb auf, weil die Polizei bei einem früheren Hausmädchen, gegen das in anderer Sache ermittelt wurde, einen Brief fand, in dem ihr Liebhaber ihr Vorwürfe machte, dass sie die Vorgänge im Hotel nicht zur Anzeige bringe. Nach diesem Fund ermittelte die Polizei und erstattete am 24. Juli 1942 Anzeige. Otto Didier geriet erneut in die Mühlen der Polizei und Justiz. Gegen alle vier wurde am 6. August 1942 Strafanzeige durch den Gendarmerie-Posten Untermünstertal gestellt. Am gleichen Tag wurde Didier vernommen und war nach anfänglichem Leugnen geständig. Er gab aber auch zu Protokoll: „Ich gebe in keiner Weise zu, dass ich ein Jugendverderber bin. … Ich habe keinen von allen dreien zur Unzucht gezwungen und es hat auch keiner Widerstand geleistet, im Gegenteil, wir haben immer gleichzeitig miteinander Unzucht getrieben …“ (6) Er bekundete auch: „Ob sie das [die Onanie] alleine machen, oder von einem anderen machen lassen, ist nach meiner Ansicht egal.“ (7) Ihn als den Älteren sah aber der 1935 vom NS-Staat neu eingeführte § 175a StGB als „Verführer“ der Jüngeren und die NS-Ideologie als Verbrecher und Staatsfeind. Nun wurde es ernst, er war Rückfalltäter. Didier wurde im September 1942 vom Landgericht Freiburg zu einer drastischen Strafe von zwei Jahren Zuchthaus, abzüglich der Untersuchungshaft, aufgrund des § 175a Ziffer 3 StGB verurteilt. (8)

Auch gegen die Jugendlichen wurden per Strafbefehl des Amtsgerichts Staufen vom 14. September 1942 Strafen festgesetzt, da sie einvernehmlich mitgemacht hatten: Paul I. erhielt einen Monat Jugendarrest, Walter H. (9) drei Wochen Jugendarrest und Erich W. drei Wochenendkarzer. (10) Erfolglos bat der Besitzer des Hotels Burggraf, wegen Personalmangels die Strafen der Jugendlichen zu erlassen oder zu verlegen. Der Jugendarrest wurde ab dem 26. Oktober 1942 in der Jugendarrestanstalt Kenzingen verbüßt, der Wochenendkarzer im Gefängnis Baden-Baden ab dem 3. Oktober 1942. (11)

Otto Didier verbüßte seine Strafe im Zuchthaus Bruchsal; jedenfalls wurde dorthin im November 1942 Eigentum von ihm geschickt. (12) Im August 1944 dürfte seine Strafhaft beendet worden sein. Man entließ ihn aber nicht in die Freiheit, sondern übergab ihn der Gestapo oder Kriminalpolizei. Mit einem Erlass hatte der Reichsführers SS Heinrich Himmler 1940 bestimmt, dass jeder Homosexuelle, der mehr als einen Partner verführt hatte, nach der Strafhaft in ein KZ zu bringen sei.

Sicher ist, dass Didier am 1. September 1944 wegen seines homosexuellen Verhaltens für wenige Tage in das KZ Natzweiler eingeliefert wurde und dort die Nummer „26.894 § 175“ erhielt. (13) Dieses KZ war für die Region Baden und Elsaß zuständig. Das Lager befand sich aber schon in Auflösung, da die alliierten Streitkräfte näher rückten, und so wurde er schon am 4. September 1944 in das nächstliegende KZ, in das Außenlager Allach des KZ Dachau transportiert. In diesem Transport waren mindestens neun Schwule, von denen mindestens sieben im KZ-System starben. Der Großteil der Häftlinge arbeitete in Allach bei BMW in der Flugzeugmotorenfertigung. In Dachau erhielt er die Nummer 101.713 und wurde als „Franzose/Elsässer“ geführt. (14) Dort blieb er aber auch nur rund eineinhalb Monate, denn im KZ Neuengamme benötigte man Arbeitskräfte zur Errichtung von Panzergräben und Stellungen. Der sogenannten Friesenwall sollte zur Abwehr einer befürchteten Invasion der Alliierten in Norddeutschland dienen. Am 22. Oktober 1944 kam Didier auf einen Transport mit dem Ziel KZ Neuengamme und erreichte drei Tage darauf das Lager Husum-Schwesing in Norddeutschland, ein Außenlager des KZ Neuengamme und schließlich schon nach einer weiteren Woche Anfang November 1944 das Außenlager Ladelund an der Grenze zu Dänemark. Im Bereich des KZ Neuengamme hatte er die Nummer „61.799 Sch § 175“. (15)

In Ladelund starb er nach zwei Wochen am 16. November 1944. Der 28-jährige Handwerker soll angeblich an Herzschwäche gestorben sein. Das ist wenig plausibel; meist waren die Todesursachen auch willkürlich gewählt. Viel wahrscheinlicher ist, dass er aufgrund unzureichender Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Medikamenten und an den Transportstrapazen seiner Odyssee durch die KZs in Deutschland starb. Hinzu kamen die Strapazen der Zwangsarbeit. Von der KZ-Einweisung bis zu seinem Tod waren nur zweieinhalb Monate vergangen. Er wurde im Massengrab Nummer fünf nahe der Kirche in Ladelund beerdigt.

Für die schrecklichen Zustände in den Lagern Husum – Schwesing und später Ladelund war der SS-Unterscharführer Hans-Hermann Griem (1902-1971) verantwortlich. (16)

(1) Die Angaben zum Lebenslauf stammen aus seinem Vernehmungsprotokoll durch die Kriminalpolizei Freiburg vom 15. April 1941 und 6. August 1942 und seinem Urteil vom 29. Mai 1941. Signatur: Akte Didier, Direction des Archives des Victimes de Conflits contemporains (DAVCC) des Verteidigungsministeriums (Außenstelle Caen), Referenznummern sind 101-674 für die erste Gerichtsverhandlung (1941) und 25P 12 147 (100-818) für die zweite (1942). Die Akte ist nur teilweise mit Seitenzahlen versehen. Fast alle Angaben stammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus dieser umfangreichen Akte, die in der Nachkriegszeit vermutlich von französischen Besatzungstruppen beschlagnahmt wurde, weil Franzosen in die Verfahren verwickelt waren.
(2) Im Januar 1941 wurde für ihn eine Versicherungskarte ausgestellt. Für den 1. Mai 1941 wurde er von Herrn Burggraf in der damaligen Gemeinde Obermünstertal nach Freiburg im Breisgau bei der polizeilichen Meldebehörde abgemeldet. Auskunft der Gemeinde Münstertal/Schwarzwald.
(3) Selbstbeschreibung des Hotels Burggraf auf Postkarten des Hotels aus den 1930er Jahren.
(4) Staatsarchiv Freiburg, Bestand F176/19, Best.Nr. 9465, Register für Vorverfahren Js 1941 und Register F176/19 Nr. 9502, Register für Hauptverfahren vor dem Landgericht Freiburg 1935-1948, Abt. 4/3, Js Register 4Js/206/41. Nur die Register sind überliefert.
(5) Akte Didier. Aussage Luise H. vom 24.06.1942 beim Gendarmerie Posten Norsingen.
(6) Akte Didier, Vernehmung Didier vom 6.8.1942.
(7) Ebda.
(8) Staatsarchiv Freiburg, Bestand F176/19, Best.Nr. 9728, Register für Vorverfahren Js 1941 und Register F176/19 Nr. 9500, Register für Hauptverfahren vor dem Landgericht Freiburg 1935-1948, Abt. 2, Js Register 2Js/561/42. Nur die Register sind überliefert. Vermerkt war noch: „Hauptakte bei der französischen Militärregierung“.
(9) Walter H. war 1925 in Oberelsass geboren und wurde dem zuständigen Standesamt als Anfang 1945 verschollen in Ostpreußen gemeldet. Vermutlich wurde er also von den Deutschen zwangsrekrutiert und ist als Soldat gefallen.
(10) Strafbefehl des Amtsgerichts Staufen vom 14. September 1942. Akte Didier, Blatt 75-78.
(11) Akte Didier, Blatt 115, 127, 129.
(12) Akte Didier, Schreiben des Gerichtsgefängnisses Freiburg an das Zuchthaus Bruchsal vom 11.11.1942.
(13) Den ersten Hinweis auf seine KZ-Haft fand ich im Staatsarchiv Prag.
(14) Auskunft des Archivs der Gedenkstätte Dachau.
(15) Auskunft des Archivs der Gedenkstätte Neuengamme.
(16) Vgl. zu Griem: Konzentrationslager Ladelund 1944, Ausstellungskatalog, 2. Verbesserte Auflage 1995, herausgegeben von der Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Petri Ladelund, S. 20 f. Uwe Dankert, Astrid Schwabe, Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus, Neumünster 2005, S. 126 f.

© Text und Recherche: Rainer Hoffschildt


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Obermünstertal, allgemein


Täterorte in Baden-Württemberg:
Gendarmerieposten Untermünstertal
Landgericht Freiburg
Gefängnis Baden-Baden
Zuchthaus Bruchsal

Weitere Täterorte:
KZ Natzweiler
KZ Dachau
KZ Neuengamme