* 1898 Hattingen

Mit folgendem Inserat in der Bodenseezeitung vom 30. Oktober 1937 (2 Jahre nach Verschärfung des § 175 und auf dem Höhepunkt der Homosexuellenverfolgung!) fing alles an: „Herr sucht für seine sonntäglichen Aufenthalte in Radolfzell vorurteilsfreien, aufrichtigen Freund. Angehörige des Heeres oder der SS bevorzugt. Off. von intelligenten, grundehrlichen Menschen erbeten unter „Odin“.“ Daraufhin meldete sich ein SS-Mann, um „Odin“ zu enttarnen, was prompt gelang. Paul Honold, alias Odin, geboren 1898 in Hattingen, einem kleinen Dorf nahe Tuttlingen, wurde verhört. Er nannte andere Namen. Diese Männer wurden auch verhört und Stück für Stück flog ein großes Netzwerk von Beziehungen auf. Die Männer kannten sich nicht alle gegenseitig, waren aber in verschiedenen Kombinationen miteinander befreundet. Mehr als 30 Männer wurden verhört, letztendlich reichte es für Anklagen gegen 12 Männer. Sie waren eine sehr heterogene Gruppe – im Alter zwischen 20 und 42 Jahren, alle wohnhaft im Bodenseeraum. Zehn waren katholisch, 2 evangelisch, 9 waren ledig, 2 verheiratet, 1 geschieden, 8 hatten keine Vorstrafe, 2 waren wegen § 175 vorbestraft und 2 hatten andere Vorstrafen. Vom Beruf waren sie auch sehr verschieden. Vier waren Kaufmänner, einer Postbetriebsarbeiter, einer Bahnbediensteter, einer Grundbuchassistent (Beamter), dessen Verurteilung natürlich berufliche Konsequenzen hatte. Ein Arbeiter, ein Friseur, ein Gärtner und 2 Mechaniker waren auch dabei. Einige der Männer waren Mitglieder in verschiedenen NS-Organisationen.

Honold, unter den Homosexuellen als „Hegaufürstin“ bekannt, sowie einige andere waren Mitglieder der „Liga für Menschenrechte“ in Zürich und fuhren zu Tanzunterhaltungen der Liga dorthin. Die Männer nutzten die Nähe zur Schweiz, um auch dort ihre Neigungen zu leben. Honold schrieb unter dem Namen Fritz Eckwald Erzählungen für die in Zürich erscheinende Zeitschrift „Menschenrecht – Blätter zur Aufklärung gegen Ächtung und Vorurteil“. Der Staatsanwalt in Konstanz schrieb nach Zürich und bat, diese Aktivitäten zu unterbinden. Die Antwort aus Zürich lautete, diese Aktivitäten seien in Zürich nicht verboten.

Am 11. Mai 1938 verurteilte das Landgericht Konstanz zehn der Männer zu Gefängnisstrafen. Zwei Männer erhielten 2 Jahre 6 Monate, 4 Strafen waren zwischen 1 und 2 Jahren und 4 unter 1 Jahr. Ein Mann, Oskar M., geboren 1905 im Bodenseeraum, verbrachte die letzten 10 Monate seiner Strafe im Strafgefangenenlager Rollwald und wurde von dort entlassen. Honold war auch 8 Tage in Rollwald, wurde aber wegen „Lagerunfähigkeit“ in das Gerichtsgefängnis Ulm übergeführt. Niemand bekam eine Zuchthausstrafe, niemand Ehrverlust. Die Männer wurden alle nach Verbüßung ihrer Haftstrafe entlassen. Niemand blieb in „Schutzhaft“ oder „Vorbeugehaft“. Die übrigen 2 Männer wurden von Amtsgericht Radolfzell zu 2 bzw. 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Auch sie wurden nach Verbüßung entlassen. Keine Akte deutet daraufhin, dass einer der Männer in der NS-Zeit wieder straffällig wurde.

(StAF Bestand D 81/1, Nr. 543, Prozessakte.)

© Text und Recherche: William Schaefer


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Hattingen, allgemein


Täterorte in Baden-Württemberg:
Staatsanwalt in und Landgericht Konstanz
Gerichtsgefängnis Ulm
Amtsgericht Radolfzell