* 28.08.1911 Viernheim (Hessen)

Valentin Reinhardt hatte bei der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main am 24. Februar 1958 Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz (AKG) vom 5. November 1957 angemeldet. Mit Bescheid vom 30. September 1958 erfolgte eine Ablehnung.

1993, Reinhardt wohnte nun in Denzlingen, Sachenstraße 2, hat er den Landesverband der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) Baden-Württemberg e. V. erneut beauftragt, eine Härteleistung nach dem AKG zu beantragen. Alfred Hausser von der VVN schrieb am 18. Januar 1994 an die Oberfinanzdirektion Köln, dass Reinhardt nach seinen Angaben „wegen Homosexualität gerichtlich bestraft“ worden sei und er sich „deswegen von Januar 1941 bis Mai 1945 in Straf- und KZ-Haft“ befunden habe. Es liege „zweifelsfrei eine schwere NS-Unrechtsverfolgung vor.“ Reinhardt füllte das Formular „Antrag auf eine einmalige Beihilfe nach den Richtlinien der Bundesregierung über Härteleistungen an Opfer von NS-Unrechtsmaßnahmen im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes“ handschriftlich aus. Er gab darin an, dass er sich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim zunächst von etwa Januar 1941 bis zum 5. Februar 1941 in Untersuchungshaft und anschließend bis zum 5. Juli 1942 in Strafhaft befunden habe. Die Reststrafe von einem Jahr und sechs Monaten habe er bis 19. August 1942 in der JVA Karlsruhe verbüßt. Im Anschluss sei er in das KZ Dachau eingewiesen worden. Dies war von der KZ-Gedenkstätte Dachau bereits in einem Schreiben vom 14. September 1993 bestätigt worden. Im KZ war Reinhardt unter der Häftlingsnummer 34804 registriert. Im Antragsformular führte er aus: „Nach Ende Strafthaft keine Entlassung. Weiterhin (Schutz(?)-Haft). Verlegung KZ Dachau. Arbeitskolonne Straßenbau bei München, später Steinbruch (bei Dachau), Materiallager der SS (außerhalb des KZ-Lagers). […] Herbst 42 im „Revier“ rechter Arm entblößen bis Malariastich erfolgte mehrfach. Malaria Dez. 42 / Feb. 43 ausgebrochen. Mehrfach im Krankenrevier. Trotz Malaria-Anfälle Einteilung zur Arbeit. Verlegung nach MARKIRCH (bei Colmar), Außenstation von KZ Natzweiler. Dauer bis Landung Alliierte, Rückverlegung KZ Dachau. Nach 4 Wochen Verlegung in ein Lager bei Trostberg (Rüstungsbetrieb). Von dort durch amerikan. Truppen entlassen. Wegen Hörproblemen eine Reihe von Misshandlungen.“

Die Oberfinanzdirektion Freiburg teilte der VVN Baden-Württemberg am 24. Mai 1994 mit, dass Reinhardts Antrag auf eine einmalige Härtebeihilfe keine Aussicht auf Erfolg habe, weil die Ablehnung der bereits 1958 angemeldeten Entschädigungsansprüche nach Ablauf der sechs-monatigen Klagefrist „Rechtsgültigkeit“ besitze. Keine Rolle spielte dabei offenbar, dass die Ablehnungsbegründung aus dem Jahre 1958 noch die KZ-Haft rechtfertigte. Dies wurde zu Recht auch von Herrn Klos, Gerichtshilfe bei der Staatsanwaltschaft Freiburg, in seinem Schreiben vom 26. Juli 1994 an den VVN Landesverband Baden-Württemberg wie folgt angeprangert: „Gerade die Neuregelung der AKG-Härterichtlinien ließ Hoffnung aufkommen, daß sich auch bei der Beurteilung der Ansprüche von Herrn Reinhardt eine Änderung ergeben könnte. In Deutschland war Homosexualität als solche noch nie strafbar. Wenn bestraft wurde, wurde die Praktizierung dieser Homosexualität bestraft. Deshalb sind auch die Bezeichnungen wie „Sittlichkeitsverbrecher“, „Hang zu Sittlichkeitsverbrechen“ aus der alten Ideologie immer noch in Gebrauch. […] Der Bescheid vom 30.9.1958 ist – zumindest aus heutiger Sicht – hanebüchen. Daß die Unterbringung im Kz. als Polizeimaßnahme gerechtfertigt wird und als „keine Ermessungsüberschreitung“ dargestellt wird, obwohl die vollständige Verbüßung der vorherigen Strafe erledigt war, ist damaliges Gedankengut. Der Bescheid enthält auch falsche und unrichtige Tatsachenbehauptungen zur gesundheitlichen Schädigung und zur Erwerbstätigkeit. Es gibt meines Erachtens keinerlei Rechtfertigung zur Einrichtung von Kz., Einlieferung, Ausbeutung, unmenschlichen Verhaltens den Häftlingen in den Lagern der SS und anderer Dienste – gleich, welche Beschuldigung erhoben wird!“

(Wir danken Volger Kucher vom VVN-Archiv Stuttgart)

© Text und Recherche bzw. Anmerkungen zu überlieferten Dokumenten: Werner Biggel / Ralf Bogen


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Schreiben der Oberfinanzdirektion Frankfurt/Main an Herrn Valentin Reinhardt betreffend „Allgemeines Kriegsfolgengesetz (AKG)“, in dem diese die KZ-Haft noch 1958 rechtfertigt (VVN-Archiv Stuttgart, WGA 121)


pin3d428b  Der Pin auf der Gedenkkarte zeigt Denzlingen, Sachsenstraße 2


Täterorte in Baden-Württemberg:
Justizvollzugsanstalten Mannheim und Karlsruhe, nach 1945: Oberfinanzdirektion Freiburg

Weitere Täterorte:
KZ Dachau
KZ Natzweiler
nach 1945: Oberfinanzdirektion Frankfurt a. M.