Ermutigender Start der Unterschriftenaktion „Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer“ – jetzt dranbleiben

„Unsere beim CSD gestartete Unterschriftenaktion ‚Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer – auch als Vorkämpfer gegen das §175-Unrecht‘ hat viel Unterstützung bekommen. Das freut uns sehr“, sagt Lars Lindauer von der IG CSD Stuttgart e.V. und Mitstreitender der AG queere Erinnerungskultur „Der-Liebe-wegen“ des Weissenburg e.V. „Nahezu alle an der CSD-Hocketse beteiligte Organisationen haben die Aktion unterstützt, so dass wir in kurzer Zeit ermutigende erste 500 Unterschriften erzielen konnten“.

Sportverein Abseitz, AIDS-Hilfe Stuttgart, Elterngruppe homosexueller Kinder
„Wir leben in Zeiten, in denen rassistische und queer-feindliche Narrative im Internet und auf der Straße zunehmen. Vor diesem Hintergrund hat Fritz Bauer mit seinem entschlossenen Kampf zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen für die heutigen Herausforderungen noch eine viel größere Würdigung in seiner Geburtsstadt Stuttgart als bislang verdient“ meint Kerstin Rudat vom LSVD+ Baden-Württemberg e.V..
„Dass Bauer auch einer der Ersten in der Bundesrepublik war, der gegen die Bestrafung einvernehmlicher sexueller Handlungen von erwachsenen Männern seine Stimme erhoben hat, ist vielfach noch nicht bekannt. Überlieferte Polizeiakten aus seiner Exilzeit in Dänemark belegen zusätzlich, dass er selbst seine homosexuellen Neigungen nicht leben konnte, sondern unsichtbar machen musste. Queere Rechte sind Menschenrechte, für welche Fritz Bauer einstand. Darum sollte dieser wesentliche Aspekt des Lebens von Fritz Bauer auch in Stuttgart nicht mehr länger ausgeklammert werden“, ergänzt Sven Tröndle von der Weissenburg e.V.

AktivistA (Verein des asexuellen Spektrums), „Schalom – Salam – Merhaba & Grüß Gott*: tgbw e.V. und religiöse Organisationen beim CSD, Mission TRANS*, Verein zur Förderung von Jugendlichen
„Wir begrüßen den Vorschlag des Journalisten Jan Sellner, nach Bauer nicht nur ein Sträßchen in Sillenbuch, sondern einen Platz im Stadtzentrum in der Nähe des Amtsgerichts, seiner früheren Wirkungsstätte, zu benennen. Von hier aus wurde Bauer am 24. März 1933 wegen seiner der NSDAP unliebsamen sozialdemokratischen politischen Tätigkeit und seiner jüdischen Herkunft verhaftet und in das erste nationalsozialistische Konzentrationslager Württembergs auf dem Heuberg auf der Schwäbischen Alb verschleppt. Aus Sicht queerer Vereine ist gerade an diesem Ort auch daran zu erinnern, wie die Justiz menschenverachtend zur bundesweiten Vorreiterrolle Baden-Württembergs bei der §175-Verfolgung entscheidend beitrug. KZ-Überlebende wie z. B. Karl Zeh wurden statt entschädigt, dort erneut wegen ihrer Homosexualität zu Gefängnisstrafen verurteilt.“ teilt Ralf Bogen vom Internetprojekt „Der-Liebe-wegen“ – www.der-liebe-wegen.org – mit. „Eine solche Platzbenennung wäre eine wichtige Ergänzung der von uns angestrebten Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer. Der Stuttgarter Gemeinderat könnte sich durch Ehrenbürgerschaft und Platzbenennung deutlich zur konsequenten demokratischen Haltung von Bauer bekennen und ein wirkungsvolles Zeichen gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit für heute und für künftige Generationen setzen“.
Begrüßenswert ist in letzter Zeit die positive Berichterstattung über Fritz Bauer in den Stuttgarter Medien. Allerdings wurde von diesen ohne genauere Angaben verbreitet, dass es nach dem Stuttgarter Stadtrecht rechtlich nicht möglich sei, einer verstorbenen Person die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. „Wir haben uns deswegen an die Amtsleitung ‚Grundsatz- und Rechtsangelegenheiten‘ der Stadt Stuttgart mit der Bitte gewandt, uns die Rechtsvorschrift zu nennen, die einer Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer entgegenstehen soll. Wir haben ebenfalls darum gebeten, uns Wege und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie diese Rechtsvorschrift der Stuttgarter Gemeinderat gegebenenfalls verändern kann. Denn dass Ehrenbürgerschaften an Verstorbene in Baden-Württemberg und im Regierungsbezirk Stuttgart prinzipiell möglich sind, hat die Stadt Straitbach erst im Juni dieses Jahres gezeigt“ – betonen die für die Unterschriftenaktion Engagierten. Und sie teilen weiter mit: „Damit der Stuttgarter Gemeinderat diesem Beispiel folgt und wir in 2026 das Ziel der ‚Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer‘ erreichen, wollen wir jetzt verstärkt durch unsere Unterschriftenaktion zu einer noch breiteren Diskussion hierzu in der Stadtgesellschaft anregen“.
Wer zum Gelingen der Aktion beitragen möchte, kann Kontakt zur AG Queere Erinnerungskultur „Der-Liebe-wegen“ des Weissenburg e.V., über die Email-Adresse; kontakt@der-liebe-wegen.org aufnehmen und den Link zur Unterschriftenaktion – siehe openpetition.de/!zppfw – gerne weiter verbreiten.
Wir haben viele DINA2-Plakate unserer Unterschriftenaktion drucken lassen. Gastronom:innen, kulturelle Einrichtungen und weitere Unternehmen, die diese zur weiteren Verbreitung der Unterschriftenaktion haben möchten, können uns dies gerne mitteilen.

Mitarbeitende des DERTOUR Reisebüros Stuttgart
Wir danken allen an der CSD-Hocketse beteiligten Vereine, die unsere Unterschriftenaktion unterstützen. Davon sind Personen folgender Vereine mit Fotos hier dargestellt: Sportverein Abseitz, AIDS-Hilfe Stuttgart, Elterngruppe homosexueller Kinder, AktivistA (Verein des asexuellen Spektrums), Schalom – Salam – Merhaba & Grüß Gott*: tgbw e.V. und religiöse Organisationen beim CSD, Mission TRANS*, Verein zur Förderung von Jugendlichen und Mitarbeitende des DERTOUR Reisebüros Stuttgart.

Wir danken auch allen an der CSD-Hocketse beteiligten Parteiorganisationen, die unsere Unterschriftenaktion unterstützen. Davon sind Personen folgender Organisationen mit Fotos dargestellt (auf Grund des Regens wurden nicht mehr alle auf der Hocketse vertretenen Parteien angefragt und/oder fotografiert wie beispielsweise die FDP Stuttgart oder Partei Mensch Umwelt Tierschutz – Tierschutzpartei. Dies bitten wir zu entschuldigen):
Bündnis90/Die Grünen KV Stuttgart, Die Linke Stuttgart, LSU Baden-Württemberg, Piratenpartei Stuttgart, SPDqueer Stuttgart, Volt Deutschland – Landesverband Baden-Württemberg
Warum sich Städte bewusst für Ehrenbürgerschaften an eine verstorbene Person entscheiden?
Ehrenbürgerschaften werden in der Regel an lebende Personen vergeben. Doch: keine Regel ohne Ausnahme. Mehrere Städte haben sich bewusst für eine posthume Ehrenbürgerschaft entschieden, wozu wir hier zwei Beispiele darstellen:
Ehrenbürgerinschaft für Marlene Dietrich durch die Stadt Berlin
„Marlene Dietrich stellte sich während der Zeit des Nationalsozialismus gegen die Verbrechen und stand für das andere, das demokratische Deutschland (…) Wir erinnern uns nicht ohne Scham an die unwürdigen Vorfälle im Jahr 1960, als man dem internationalen Showstar den Einsatz gegen die Nazis vorwarf.“ – so begründete der damalige regierende Oberbürgermeister Wowereit die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an die Schauspielerin zehn Jahre nach ihrem Tod durch die Stadt Berlin. Die Ehrung stellt damit eine Art symbolische Wiedergutmachung dar, der von vielen Marlene Dietrich-Anhänger:innen sehr begrüßt wurde (Quelle: Der Standard, 16. Mai 2002: Marlene Dietrich zur Berliner Ehrenbürgerin ernannt).
Ehrenbürgerschaft für Willi Graf durch die Stadt Euskirchen
„Willi Graf persönlich hat nichts mehr von dieser Ehrenbürgerwürde. Aber wir ehren Willi Graf (…) auch für uns“ – so erklärte der Bürgermeister Sascha Reichelt die posthume Ehrenbürgerschaft für Willi Graf durch die Stadt Euskirchen im Mai 2025. Graf war 1943 vom NS-Staat wegen des Verteilens von Flugblättern der Weißen Rose hingerichtet worden. Mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde will sich Rat und Verwaltung der Gemeinde Euskirchen deutlich zu den demokratischen Werten und der Haltung von Willi Graf bekennen und ein deutliches Zeichen für gegenseitigen Respekt und für Demokratie setzen (Quelle: Webseite Leben in Euskirchen, Beitrag „Willi Graf ist nun Ehrenbürger der Stadt Euskirchen“ vom 12.05.2025).
Fritz Bauers homosexuelle Neigung nicht mehr länger ausklammern
Queere Rechte sind Menschenrechte, für welche Fritz Bauer einstand. Darum sollten homosexuelle Neigungen als wesentlicher Aspekt des Lebens von Fritz Bauer auch in Stuttgart nicht mehr länger ausgeklammert werden. Im folgenden veröffentlichen wir Auszüge aus verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten aus den Jahren 2013, 2017, 2021 und 2023, die darauf eingehen:
„Tief im Kopenhagener Staatsarchiv (…) liegen seit Jahrzehnten auch Berichte darüber, wie Bauer als junger Mann im Exil wegen homosexueller Handlungen vernommen wurde. Dem Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hätte diese Nachricht später, wäre sie je bekannt geworden, zum Verhängnis werden können – noch in den 1960er Jahren wurde Homosexualität in Deutschland als Straftat verfolgt.“ (S. 25)
„(…) als Fritz Bauer schon im ersten Monat nach seiner Ankunft eine Nacht mit einem Dänen verbringt, konfrontieren die dänischen Uniformierten ihn barsch: Ob er etwa in verbotene schwule Prostitution verwickelt sei? (…) „Von der Straße aus konnte man beobachten, dass der Deutsche sich ausgezogen hat, ohne sich einen Pyjama anzuziehen“: Der dänische Polizist, der diesen Satz in seinen Bericht schreibt, beobachtet Fritz Bauers Fenster noch nachts um 2.30 Uhr. (…) Bauers lebenslange Einsamkeit in Liebesdingen wird später noch deutlicher, festhalten lässt sich nach der schmachvollen Konfrontation mit der dänischen Fremdenpolizei zunächst nur, dass Bauer der Willkür der Behörden selbst in seinem Exilland – der Demokratie Dänemark – von Beginn an ausgeliefert ist.“ (S. 100ff)
Quelle: Ronen Steinke: „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ (München 2013)
„Verfolgung wegen Homosexualität hat Bauer am eigenen Leib erfahren. Kaum war er im März 1936 legal nach Dänemark gereist und im Glauben, frei von Nachstellungen und Gestapowillkür zu sein, wurde der politische Flüchtling von der Kopenhagener Polizei vorgeladen und verhört. (…) Der bis dato »ungekannte Ausländer«, wie es im Polizeibericht heißt, hatte in polizeibekannten Lokalen verkehrt und in seiner Wohnung sexuellen Umgang mit einem Mann gehabt. Bauer bestritt im Verhör die polizeilich notierten Beobachtungen nicht (…) Bauers dänische Polizeiakte weist insgesamt 31 Einträge auf. Immer wieder wurde der Emigrant befragt, ob er weiterhin homosexuelle Kontakte pflege. Der zweifelsfrei gefährdete Bauer, dem eine Abschiebung nach Deutschland drohte, stellte seine Kontakte mutmaßlich ein. In den Jahren 1938 bis 1940 wiederholt von der Polizei auf den Sachverhalt angesprochen, beteuerte er seine Abstinenz.“
Quelle: Werner Renz „Wider die Sittenwächter: Fritz Bauers Kritik am überkommenen Sexualstrafrecht der 1950er und 1960er Jahre“, 2017 – siehe https://der-liebe-wegen.org/120-jahre-fritz-bauer-antifaschist-streitbarer-demokrat-und-mutiger-vorkaempfer-gegen-das-%C2%A7175-unrecht/
„1936 folgte Fritz Bauer seiner Schwester Margot und ihrem Mann ins Exil nach Dänemark. Dort ging er im Juni 1943 mit der Kindergärtnerin und Genossin Anna Maria Petersen (1903-2002) eine Schutzheirat ein. Ob er dies tat, weil er in Gefahr stand, als Ausländer ausgewiesen zu werden, oder ob er damit den Verdacht der dänischen Fremdenpolizei, er pflege Umgang mit männlichen Prostituierten aus dem Weg räumen wollte, ist nicht bekannt. (…) Bauers Zurückgezogenheit hatte sicherlich auch taktische Gründe. So vermied er nicht nur den Vorwurf, nur aus eigener Betroffenheit zu handeln, er schützte sich auch vor Erpressungen. Denn während Bauers gesamter Zeit als Landesgerichtsdirektor und Generalstaatsanwalt waren alle homosexuellen Handlungen noch unter Strafe gestellt.“
Quelle: Karl-Heinz Steinle und Barbara Kettnaker „Fritz Bauer – Jurist, Jude, Remigrant und Generalstaatsanwalt“ im 2021 veröffentlichten Ausstellungskatalog „Queer durch Tübingen: Geschichten vom Leben, Lieben und Kämpfen“
„In Fritz Bauers Polizeiakte hieß es in einem Eintrag vom 21. Oktober 1936 (Quelle: The Danish National Archives, Kopenhagen, siehe https://fritz-bauer-der-staatsanwalt.de/chapters/chapter05 (weit nach unten scrollen – hier zitiert nach Quelle: Online-Ausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“ des Fritz Bauer Instituts vom Juli 2023):
