„Totgeschlagen – Totgeschwiegen“ lautet der Text auf der Gedenktafel für die Rosa-Winkel-Häftlinge in der Gedenkstätte des KZ Dachau. Jenes KZ bei München, das in der Richtlinie vom 4. April 1937 zum Erlass “Vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei” als Einweisungsort für homosexuelle Männer aus den Bezirken der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart, auch „Büchsenschmiere“ genannt, bestimmt wurde.

„Totgeschlagen – totgeschwiegen“ – unter dieser Devise haben homosexuelle Selbstorganisationen in Stuttgart sich seit Jahrzehnten dafür eingesetzt, dass das Leid der homosexuellen NS-Opfer wahrgenommen und anerkannt wird. Wir danken insbesondere Monika Renninger, der Leiterin des Hospitalhofs, die die gewünschte Überarbeitung der Gedenktafel zum NS-Terror der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart im heutigen Hospitalviertel umgesetzt hat. Der Text heißt nun:

„Im Gebäude des Stuttgarter Dominikanerklosters und späteren städtischen Hospitals waren von 1895 bis 1945 die Polizei und das Polizeigefängnis untergebracht. In der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 wurden hier Menschen gequält und gedemütigt.

Wir gedenken aller, die aus politischen, religiösen und anderen Gründen verfolgt, entrechtet, deportiert und ermordet wurden – Jüdinnen und Juden, Sinti:ze und Roma:nja, Angehörige sexueller Minderheiten, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Oppostionelle.“

Großer Zuständigkeitsbereich und Bedeutung der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart

Eine wichtige Erkenntnis bei der Aufarbeitung des NS-Unrechts an queeren Menschen von unserem Projekt „Der-Liebe-wegen.org“ war die Größe des Zuständigkeitsbereichs, den die Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart hatte und das Ausmaß, wie zentral sie in die Verbrechen der NS-Diktatur an homosexuellen Männer verwickelt war. Im Unterschied zur Geheimen Staatspolizei von Württemberg und Hohenzollern im Hotel Silber war die „Büchsenschmiere“ übergeordnet den Kriminalpolizeistellen Stuttgart (einschließlich Sigmaringen), Karlsruhe, Kaiserslautern und Saarbrücken. Mit der Anordnung von Himmler, Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei, vom 12. Juli 1940, “in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen”, nahm die Zahl der wegen des Vorwurfs der Homosexualität erfolgten KZ-Einweisungen aus Baden und Württemberg kontinuierlich zu. 73 Männer mit Bezug zum heutigen Baden-Württemberg haben die KZ-Haft nicht überlebt (siehe https://der-liebe-wegen.org/1933-1945/#kapitel5 )

Peter Poguntke, Andreas Keller und Monika Renninger haben in ihrem Buch „Die ‚Büchsenschmiere‘ im Hospitalviertel – Ein vergessenes Kapitel in der Stuttgarter Stadtgeschichte“ die Verbrechen dieser Kriminalpolizeileitstelle sichtbar gemacht. Das Buch ist im Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof Stuttgart erhältlich. Im Beitrag „Stuttgart hat einen bedeutenden neuen Erinnerungsort“ in der Stuttgarter Zeitung / Nachrichten (27.6.2024) schreibt Jan Sellner über die Ausstellungsvernissage am 25. Juni 2024:

„Isabel Fezer, wie auch die Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft, Barbara Traub, und die evangelische Prälatin Gabriele Arnold, äußerten in Redebeiträgen ihr Erstaunen darüber, dass die Geschichte des weitläufigen Polizeikomplexes in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt war – speziell die Zeit während des Nationalsozialismus, als hier Juden, Oppositionelle, Homosexuelle, Zwangsarbeiter sowie Sinti und Roma einsaßen und erniedrigt wurden. (…)

Bis heute halte sich die Legende, dass sich die Kripo in der NS-Zeit auf hoheitliche Polizeiaufgaben beschränkt habe. In Wirklichkeit hätten beide eng zusammengearbeitet: „Gestapo und die Kripo jener Zeit sind nicht gleich, aber vergleichbar.“ Hier gelte es noch viel aufzuarbeiten. (…)

Tim Müller, Wissenschaftlicher Leiter beim Landesverband der Sinti und Roma, nannte die Kripo in der damaligen Zeit „Vollstrecker der Terrors“: „Wer in den Tod ging, das wurde auch hier entschieden.“ Gleichzeitig erinnerte er an die „Kontinuität des Antiziganismus“. (…)

Ralf Bogen von der Initiative „Der Liebe wegen“ erinnerte an das Schicksal homosexueller Menschen in der „Büchsenschmiere“, die einem massiven Verfolgungsdruck ausgesetzt waren. Auch auf seine Initiative hin wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens des neuen Hospitalhofs eine Gedenktafel im Außenbereich erneuert und ergänzt. Nun sind dort alle Opfergruppen namentlich aufgeführt – auch die Angehörigen sexueller Minderheiten.“