Weder der „Nationalsozialismus“ noch die heutige extreme Rechte wären ohne die völkische Bewegung denkbar, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstand. Obwohl sich viele Rechtspopulisten und Neonazis auf die völkische Bewegung beziehen und mit Bezug auf die AfD in Medien öfters von „völkischem Gedankengut“ oder von „völkischen Kräften“ zu lesen ist, sind Geschichte, Ziele und Protagonisten der „Völkischen“ Vielen heute nahezu unbekannt.
Zur Vorbereitung auf die Veranstaltung „Nie wieder still – Entwicklungen und Auswirkungen der völkischen (NS-)Geschlechterideologie“ am 13. Juli 2025 im Erinnerungsort Hotel Silber sind hier Hintergrundinformationen zum Begriff „völkisch“ entlang der sogenannten W-Fragen (Was, Wer, Wie, Wann etc.) zusammengestellt, die vor allem auf jene Quellen beruhen, die am Ende des Beitrags genannt werden. Im Text ist das beispielsweise mit (Q1) für Quelle 1 angegeben.

Was bedeutet „völkisch“?
Als völkisch wird eine radikal-nationalistische Einstellung bezeichnet, die die Menschengruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, das eigene „Volk“ verabsolutiert und als (ethnisch) reine Gemeinschaft definiert. (Q1) In der Geschichtswissenschaft wird „völkisch“ als Sammelbezeichnung für die sich seit den 1890er Jahren politisch und kulturell formierende nationalistisch-antisemitische Rechte in Deutschland verstanden. (Q2)

Was war die völkische Bewegung und wann war sie?
Zum Ende des 19. Jahrhunderts formierte sich eine völkische Bewegung. Ihr Ziel war eine ethnisch und kulturell homogene Nation, aus der vermeintlich „undeutsche“ Fremdkörper auszuscheiden seien. Als solche sahen die Völkischen einerseits – ihrer Rassenideologie folgend – Juden, Slawen und generell Deutsche ausländischer Abstammung an. Andererseits wurden aber zum Beispiel auch körperlich oder geistig Behinderte, Freimaurer oder Sozialdemokraten und Kommunisten als „undeutsch“ definiert. (Q1)

Wer waren die wichtigsten völkischen Organisationen?
Wichtige völkische Organisationen waren der Alldeutsche Verband, der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund (allein dieser hatte Anfang der 1920er Jahre rund 200.000 Mitglieder, vor allem aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum), die Thule-Gesellschaft oder der Deutschnationale Handelsgehilfenverband. Daneben existierten etliche völkische Kleinparteien, etwa die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), aus der später unter Adolf Hitler die NSDAP wurde. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Bewegung einen starken Aufschwung. (Q1)

Wie war das Verhältnis zwischen NSDAP, Hitler und der völkischen Bewegung?
Die NSDAP verstand sich bereits in den Weimarer Jahren als feste Größe innerhalb einer größeren völkischen Bewegung. Unter der Vielzahl völkischer Akteure bildete sich die NSDAP als die stärkste deutschvölkische Kraft heraus. Unter Verweis auf „nationalsozialistische“ Alleinvertretungsansprüche in Sachen „völkisch“ lehnte es Adolf Hitler in „Mein Kampf“ ab, die NSDAP „nur“ als Teil der völkischen Bewegung anzusehen. Trotz diffusen Abgrenzungsversuchen zu den sogenannten „altvölkischen“ Kräften, erschien die Parteizeitung der NSDAP als „Kampfblatt“ vom Dezember 1920 bis zum 30. April 1945 unverändert unter dem Namen „Völkischer Beobachter“. Der Begriff „völkisch“ wurde in der gesamten Zeit von 1933 bis 1945 oft synonym mit „nationalsozialistisch“ verwendet. In dem Maße, in dem die altvölkischen Organisationen vom „Nationalsozialismus“ bzw. der NSDAP aus der Öffentlichkeit verdrängt und seit 1933 marginalisiert wurden, gerieten sie aus dem öffentlichen und später aus dem wissenschaftlichen Blick. Es war lange Zeit vergessen, dass die völkische Bewegung nicht nur das „unmittelbare Vorspiel des Hitlertums“ ist, sondern deren Denkmuster über den „Nationalsozialismus“ hinausreichen, also in die Jahrzehnte vor 1918 und seit 1945. (Q1,2,3) 

Wie ist das heutige Verhältnis der AfD zum Begriff „völkisch“?
Das Verhältnis zum Begriff „völkisch“ ist innerhalb der AfD heute widersprüchlich. Einerseits erklärte die damalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry bereits 2016, dass der Begriff „wieder positiv besetzt“ werden müsse und dass die Gleichsetzung „völkisch ist rassistisch“ eine unzulässige Verkürzung sei.  Auch Björn Höcke und André Poggenburg traten für eine Rehabilitierung der Begriffe „völkisch“ und „Volksgemeinschaft“ ein. Um rassistische national-völkische Positionen als solche jedoch zu verdecken, werden diese heute andererseits oftmals anders „verpackt“. Biologistische Argumentationsmuster werden vermieden wie der Begriff der „Rasse“, für den manche – als Ersatz – den Begriff der „Ethnie“ nutzen. (Q4)

In welchem Zusammenhang mit völkischem Gedankengut steht der AfD-Kampfbegriff „Passdeutsche“ und die von der AfD angestrebte „Remigration“ von Migrant:innen?
Die völkische Ideologie der AfD zeigt sich insbesondere in der Verwendung des Kampfbegriffs „Passdeutsche“. Mit diesem Begriff erkennt die AfD nicht alle deutschen Staatsbürger als Deutsche an. Sie spricht manchen Deutschen die Grund- und Menschenrechte ab. „Passdeutsch“ bedeutet, dass bestimmte Personen aufgrund ihrer Herkunft oder äußeren Merkmale – etwa Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit – grundsätzlich für die AfD vom ‚eigentlichen‘ deutschen Volk ausgeschlossen bleiben. Die AfD verwendet den Begriff „Passdeutsche“ vor allem im Zusammenhang mit Menschen mit Migrationshintergrund im außereuropäischen Raum. Sie gehen davon aus, dass es ein „angestammtes“ und damit vorgegebenes homogenes Volk gebe, dessen Mitglieder als Bestandteil dieses exklusiven Kollektivs unbedingten Vorrang gegenüber Menschen hätten, die prinzipiell nicht dazugehören könnten. Demnach müsse das „deutsche Volk“ vor einer „Völkervermischung“ bewahrt werden. So behauptet Björn Höcke, dass „die sogenannte Einwanderungspolitik (…) nichts anderes ist als die Abschaffung des deutschen Volkes“. Der AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah will in seiner Veröffentlichung „Politik von rechts“ Deutschland als „Land der ethnisch Deutschen“ durch „Remigration“ (Vertreibung bzw. zwangsweise Deportation von Millionen Menschen mit migrantischen Wurzeln, falls diese Deutschland nicht freiwillig verlassen) „zurückgewinnen“. (Q4)

Wie definiert die AfD „Passdeutscher“?
Nicht die Staatsbürgerschaft gilt für Politiker der AfD als Kriterium für ‚deutsch‘, sondern die Abstammung. Wie weit die zurückreichen soll, bleibt allerdings unklar, wie überhaupt eine klare Definition des Begriffs „Passdeutscher“ bei der AfD fehlt. Sind es die frisch Eingebürgerten oder auch deren Nachkommen? Ist beispielsweise auch der Fußball-Profi Jamal Musiala „Passdeutscher“? Der gebürtige Stuttgarter ist Sohn eines britisch-nigerianischen Vaters und einer deutsch-polnischen Mutter. Nähme man das Abstammungskriterium ernst, dann wäre auch der CDU-Politiker und frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière „nur“ ‚Passdeutscher‘. Seine Vorfahren flüchteten im 17. Jahrhundert aus Frankreich nach Deutschland. (Q4)

In welcher Verbindung steht völkisches Denken heute zur Ablehnung des Aktionsplans für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt?
Die gleiche politische Richtung, die sich für die Remigration einsetzt, lehnt auch das geringe Fortpflanzungsverhalten alle jener ab, die zwar entsprechend ihrer genetischen Abstammung und ihres Weißseins als „deutsch“ gelten, jedoch angeblich wegen einer „Verschwulung“ der Gesellschaft und wegen eines angeblichen kinderfeindlichen Feminismus zu wenige Kinder in die Welt setzen würden. So diffamierte die Bundestagsfraktion der AfD den „Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – Queer leben“ pauschal als einen „linksideologischen Angriff auf die traditionelle Familie (…) und das Wohl insbesondere von Kindern, Jugendlichen und Frauen“. Familienförderung bedeutet für sie, die Rechte von LSBTIQ* bzw. queeren Menschen wieder einzuschränken. (Q5)

Welche besondere Rolle hat Höcke bei queerfeindlichen Kampagnen und in Bezug auf Geschlechter(un-)gerechtigkeit?
AfD-Landeschef von Thüringen Bijörn Höcke engagiert sich mit anderen extrem Rechten für gezielte queer-feindliche Kampagnen. So möchte er beispielsweise den Monat Juni zum „Stolzmonat“ (Stolz auf Deutschland) wandeln. Im „Stolzmonat“ soll sich bundesweit als Gegenpol zum internationalen „Pride Month“ der weltweiten CSD-Emanzipationsbewegung das Hissen von Deutschlandfahnen statt Regenbogenfahnen durchsetzen. Höcke forderte bereits in seiner Erfurter Rede vom 18.11.2015: „Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“. Männer seien aufgrund ihres „verkümmerten männlichen Selbstbewusstseins“ identitätsgestört, 80% seien Weicheier und 10% „verkrampfte Machos“, die Opfer einer „großen Verschwulung“ geworden seien. Aber der deutsche Mann würde seinen Dämmerschlaf schon bald beenden. Dass es die Männer sind, die über Familie und Beruf hinaus die Verantwortung für die Politik tragen, führt Höcke auf natürliche und wesensmäßige Unterschiede von Mann und Frau zurück: „Wehrhaftigkeit, Weisheit und Führung beim Mann – Intuition, Sanftmut und Hingabe bei der Frau.“ Diese Maßgabe der maskulinen Führerqualitäten wird in der Besetzung politischer Mandate der AfD in den deutschen Landesparlamenten und im Bundestag umgesetzt: Die Frauenquote in den AfD-Fraktionen schwankt zwischen 0% (in Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein) und in der Regel ein bis zwei Frauen pro Fraktion in den übrigen Bundesländern. (Q6)

Wie ist das Verhältnis völkischer AfD-Kreise zu Regenbogen-Familien?
Alice Weidel, die mit einer auf Sri Lanka geborenen Partnerin zwei Kinder großzieht, passt mit ihrer sexuellen Orientierung und Lebensform wie die Faust aufs Auge zur Höckes völkischen-nationalen Geschlechter- und Familienideologie. Laut einem taz-Artikel (Q7) äffte die Thüringer Landtagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Wiebke Muhsal beim AfD-Parteitag Mitte Januar 2025 in Riesa in der AfD-Programmdebatte zum Familienbegriff den Satz im abfälligen Tonfall nach, den auch Alice Weidel öfters in Interviews verwendet hatte: „Familie ist da, wo Kinder sind“. „Diese gesellschaftsverwahrlosenden Sätze kommen mir echt zu den Ohren raus! Kinder kommen nicht irgendwo her, sondern Familie ist da, wo ein Mann und eine Frau gemeinsam Kinder bekommen!“ äußerte sich Wiebke Muhsal laut dem taz-Artikel weiter. Der Parteitag von Riesa hätte demnach diesen queer-feindlichen Klartext mit lautem Jubel, Johlen und Applaus quittiert. Die 600 Delegierten hätten einstimmig (!) das Wahlprogramm dahingehend geändert, dass darin nun steht: Familien bestehen aus „Vater, Mutter und Kindern“. Nach dem Vater-Mutter-Kind-Beschluss soll Weidel laut dem genannten taz-Artikel düpiert aus der Halle gerannt sein. Später soll sie noch am gleichen Tag in einem TV-Interview geltend gemacht haben, dass der veränderte Satz ja nur das Leitbild der AfD beschreibe. Sie wiederholte aber auch noch mal den an der Parteibasis offenbar verhassten Satz: „Für mich ist Familie dort, wo Kinder sind.“ (Q7)

Wie ist das Verhältnis völkischer AfD-Kreise zu homosexuellen AfD-Mitglieder wie Alice Weidel?
Patrick Wielowiejski von der Berliner Humboldt-Universität wird in dem o.g. taz-Artikel zum Thema Homosexualität in der AfD wie folgt zitiert: „Wenn woke Queerness der Feind ist, können sich Lesben und Schwule auf Seiten der Normalen stellen (…) Homosexualität in der AfD funktioniert nur unter der Bedingung, dass Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität als Grundpfeiler der rechten Ideologie nicht in Frage gestellt werden.“ Der taz-Artikel beschreibt weiter, dass Weidel ihre Partnerin Bossard zu einem Wahlkampfauftritt in Halle an der Saale mitgenommen hätte, wo diese zwischen all den „Ab-schie-ben!“-Rufen etwas versteinert gewirkt hätte und nach Weidels Rede eher verhalten applaudiert haben soll. Das kann nicht verwundern, weil laut demselben Artikel „4.000 aufgepeitschter AfD-Anhänger (…) Bier trinkend“ Sprüche riefen wie „Alice, ich will ein Kind von dir“ – während Weidel zeitgleich auf der Bühne „Remigration“ forderte.
Wenn der Tech-Oligarch Elon Musk erklären kann, dass die AfD nicht rechtsextrem sein könne, weil Weidel mit ihrer Partnerin aus Sri Lanka ja nicht gerade wie Hitler wirke, dann würde daran deutlich werden, dass auch der völkische Flügel um Höcke derzeit noch ein gewisses Interesse an Alice Weidel hätte. Im taz-Artikel wird Wielowiejski weiter wie folgt zitiert: „Aus Sicht vor allem völkischer Kreise seien sie vor allem nützliche Idioten zur Verharmlosung – solange sie diese noch brauchten.“ (Q7)

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Quellen:
(1) https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500819/voelkisch/  
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkische_Bewegung
(3) https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/230022/die-voelkische-bewegung/
(4) https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/passdeutsche-warum-der-afd-kampfbegriff-rassistisch-ist,UldpVyN
(5) https://der-liebe-wegen.org/12-6-2024-geplante-staerkung-der-erinnerungskultur-sowie-massnahmen-zum-schutz-vor-gewalt-uebergriffen-und-anfeindungen/
(6) https://blogs.taz.de/zeitlupe/2019/03/24/die-auferstehung-des-wehrhaften-mannes/
(7) https://taz.de/Rechtsextreme-und-Homosexualitaet/!6065658
Ralf Bogen, Internetprojekt „Der-Liebe-wegen.org“