Januar 2025: Ein ganzes Leben in Zwangseinrichtungen
Aus Anlass des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2025, dem achtzigsten Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz, hat uns Claudia Weinschenk folgenden Beitrag zur Erinnerung an eine Frau zugesandt, die durch äußere Zwänge nie die Chance auf ein selbst bestimmtes Leben hatte. Claudia Weinschenk forschte fünf Jahre in Akten von baden-württembergischen Psychiatrien aus der NS-Zeit nach Hinweisen auf Frauen, die nicht-heteronormativ empfanden. Weil die Daten sehr sensibel dürfen sie nur anonymisiert veröffentlicht werden.
B.G. hatte bereits einen schlechten Start ins Leben: Sie wurde 1915 in der Frauenstrafanstalt Bruchsal geboren. Ihr Vater fiel noch im selben Jahr im Ersten Weltkrieg. Sie hatte mehrere Geschwister. Da ihre nun alleinerziehende Mutter überfordert war wurde sie von der Fürsorge in ein Waisenhaus verbracht, in dem sie bis zum Ende ihrer Schulzeit verblieb. Danach war sie bis zum Alter von 18 Jahren in verschiedenen Erziehungsheimen untergebracht. Dann konnte sie in Freiburg einen Platz in einem Mädchenwohnheim erhalten, das von der Freiburger städtischen Fürsorge betreut wurde.
Erstmals in ihrem Leben konnte sie sich nun frei und ohne Zwänge bewegen. Offensichtlich nutzte sie das auch aus, denn ihre Freiheit währte nur kurz: Sie wurde schon bald von der Polizei auf dem Freiburger Schloßberg unter dem Vorwurf, sie habe sich dort „mit Männern herumgetrieben und mit zweien geschlechtlich verkehrt“ aufgegriffen. Sie wurde allerdings nicht wegen Prostitution inhaftiert sondern in die Universitätspsychiatrie Freiburg verbracht, wo sie ungefähr ein Jahr verblieb. Ihre dortige Diagnose lautete „haltlose asoziale Psychopathin“. In den Akten der Psychiatrie Freiburg wurde vermerkt, sie habe sich „eng an eine Puella“ angeschlossen, eine Benennung für eine Prostituierte. Von Freiburg wurde sie 1934 in die nahe gelegene Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen verbracht, wo sie bis April 1940 verbleiben sollte.
Bereits in den ersten Tagen ihres dortigen Aufenthalts wurde in der Akte vermerkt: „unterhält ein intimes Verhältnis mit einer (..) Pat., wobei sie, obwohl bedeutend jünger, doch die Tonangebende, Aktive und weitaus Gefährlichere ist.“ Ähnliche Vermerke finden sich immer wieder, beispielsweise: „Ist erst kürzlich dabei überrascht worden, wie sie bei einer anderen Patientin im Bett lag und pervers sich betätigte Sexuell völlig haltlos und äusserst leicht erregbar.“, „Wurde von einer Mitkranken beschuldigt mit einer anderen Kranken homosexuelle Sachen zu treiben“. An anderer Stelle wurde sie auch als „mannstoll“ beschrieben. Im Oktober 1939 vermerkte ein*e Ärzt*in: „Immerhin eignet sie sich tatsächlich nicht für eine Irrenanstalt. Man sollte eigentlich einen Entlassungsversuch durchführen und bei Missglücken sie in ein Arbeitshaus einweisen“. Es dauerte dann noch ein halbes Jahr bis sie entlassen wurde.
Sie hat es nicht geschafft: Sie kam mehrmals wegen diverser Straftaten in Konflikt mit dem Gesetz, wurde inhaftiert und im Landeskrankenhaus Sigmaringen untergebracht und verbüßte schließlich 1942 wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“, also eines „Vergehen(s) gegen die Verordnung zum Schutz der Wehrkraft“, eine einjährige Gefängnisstrafe in der württembergischen Frauenstrafanstalt Gotteszell.
Nach Verbüßung ihrer Strafe wurde sie nicht in Freiheit entlassen sondern direkt in die Heil- und Pflegeanstalt Zwiefalten verbracht. Hier blieb sie bis zum März 1944. Der Vermerk zur Entlassung lautet: „versetzt nach Arbeitslager“.
Noch konnte ich nicht ermitteln in welches Arbeitslager B.G. verbracht wurde und wie ihr weiterer Lebensweg verlief. Weitere Recherchen diesbezüglich sind im Gange.
Claudia Weinschenk