Bundesweit treten neue Neonazi-(Jugend-)Gruppen seit 2024 offener und gewaltbereiter auf (siehe Antwort der Bundesregierung Drucksache 21/193 und Auszüge daraus am Ende dieses Beitrags sowie – Achtung Triggergefahr – https://www.zdf.de/video/reportagen/die-spur-224/die-spur-jung-radikal-organisiert-rechtsextrem-fussball-100). Vorfälle in Pforzheim und Bad Cannstatt zeigen, dass auch unsere Region davon nicht verschont bleibt. Beim soziokulturellen Zentrum Prisma in Bad Cannstatt wurde zwei Mal hintereinander die Regenbogenflagge geklaut und auf offener Straße zerstört. In Pforzheim mobilisierte der sogenannte „Deutsche Störtrupp“ gegen den CSD.
Nach 1945 wäre es undenkbar gewesen, dass Neonaziaufmärsche stattfinden können. Auch heute stellen diese Aufmärsche eine nicht hinzunehmende Verhöhnung der NS-Opfer und Gefahr für alle demokratischen Kräfte und für Minderheiten dar. Um eine konsequente Bekämpfung von Neonazistrukturen durchzusetzen, müssen wir stärker und lauter werden. Dennoch gilt es auch wahrzunehmen, dass es sowohl in Pforzheim als auch in Bad Cannstatt erfreulich solidarische Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit gab und in Bad Cannstatt nun noch eine viel größere Regenbogenflagge weht. Von diesen solidarischen Zeichen wollen wir im Folgenden berichten:

Beispiel 1: Der CSD ist keine Provokation, sondern ein wichtiges Zeichen für Würde, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung

Peter Weidner hat uns dankenswerter Weise seinen Leserbrief an die Pforzheimer Zeitung zur Verfügung gestellt, den wir hier gerne veröffentlichen:

Am 14. Juni 2025 feiert Pforzheim den Christopher Street Day – ein Tag der Vielfalt, der Freiheit und der selbstbewussten Sichtbarkeit queerer Menschen. Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen sowie ihre Freunde und Unterstützer gehen auf die Straße – bunt, friedlich, solidarisch. Der CSD ist keine Folklore. Er ist gelebte Demokratie. Er ist Protest gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und Ignoranz. Ein klares Zeichen für Würde, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.

Doch ausgerechnet an diesem Tag, zur selben Zeit, nur wenige Meter entfernt, will eine Gruppierung namens „Deutscher Störtrupp” aufmarschieren – unter dem Vorwand, für „traditionelle Werte“ und „gegen Frühsexualisierung“ zu demonstrieren. Das ist kein Zufall und kein Missverständnis. Es ist ein gezielter Angriff, eine kalkulierte Provokation. Ihr Ziel: Queere Menschen einzuschüchtern, demokratische Veranstaltungen zu stören, Angst zu säen. Das sind keine gewöhnlichen Demonstranten – das sind politische Aktivisten mit Methoden, wie man sie aus der Frühzeit des Nationalsozialismus kennt. Das sind SA-Taktiken im 21. Jahrhundert.

Wer hinter dem „Deutscher Störtrupp” steht, ist bekannt: Ein bundesweit vernetztes Bündnis aus ehemaligen Neonazis, ideologisch geschulten Kadern und fanatisierten Jugendlichen. Ein gefährliches Gemisch aus Hass, Gewaltbereitschaft und Verachtung für die Demokratie.

Und diese Entwicklung geschieht nicht im luftleeren Raum.

Die AfD trägt politische Mitverantwortung für dieses vergiftete Klima. Sie ist der parlamentarische Arm eines Kulturkampfes von rechts. Wenn ein Höcke von „wohltemperierter Grausamkeit“ spricht, wenn AfD-Funktionäre von „Umerziehung“ und „biodeutschen Familien“ fantasieren, wenn Grundrechte als „Genderwahn“ diffamiert werden – dann ist das kein Zufall. Es ist Methode. Die AfD zündelt – und Gruppen wie der „Deutscher Störtrupp” setzen das in die Tat um. Wer ihre Sprache übernimmt, bereitet den Boden für Einschüchterung, Hetze und Gewalt.

Dass Teilnehmer des CSD am 14. Juni systematisch gefilmt und fotografiert werden sollen, ist kein Protest. Es ist gezielte Überwachung, Erfassung und Einschüchterung. Ein digitaler Pranger im Stil autoritärer Systeme. Und es bleibt nicht bei Bildern oder Drohungen im Netz.

Aber wir schweigen nicht.
Wir weichen nicht.
Wir stehen auf.

Die Antwort auf diesen Angriff auf Freiheit und Menschenwürde kann nur lauten: klare, breite und mutige Gegenwehr. Am 14. Juni gehört die Straße den Demokraten. Ich rufe alle auf, denen dieses Land etwas bedeutet: Kommt zur Gegendemo von „Gegen Rechts in Pforzheim“! Zeigen wir gemeinsam: Pforzheim ist kein Ort für Hass, sondern eine Stadt der Vielfalt, der Toleranz und des Zusammenhalts.

Denn das Demonstrationsrecht endet dort, wo es zur Waffe gegen Freiheit und Menschenrechte wird.
Die Versammlung des „Deutschen Störtrupps“ darf nicht genehmigt werden – nicht an diesem Ort, nicht zu dieser Zeit. Alles andere wäre ein staatlich zugelassener Angriff auf queere Menschen und eine demokratische Gesellschaft.

Der CSD ist keine Provokation. Er ist ein selbstverständlicher Ausdruck unserer Verfassung. Er ist Artikel 1 bis 3 des Grundgesetzes – auf der Straße gelebt. Wer sich dagegenstellt – im „Deutscher Störtrupp, im Netz oder im Parlament – stellt sich gegen die Grundlagen unseres Zusammenlebens.

Pforzheim muss sich entscheiden:
Zwischen Demokratie – oder der Duldung organisierter Menschenfeindlichkeit.


Ich habe meine Entscheidung längst getroffen.
Am 14. Juni stehe ich auf der Straße.
Gegen Einschüchterung.
Gegen das Schweigen.
Gegen das Böse.

Peter Weidner, Pforzheim

Beispiel 2: Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden Pforzheim erklärt sich solidarisch mit dem CSD!

Für manche CSD-Teilnehmende war es sicherlich eine Überraschung, dass sich ausgerechnet die evangelische und die katholische Kirche erfreulicherweise solidarisch zeigten:

Statement vom 23.5.2025 der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden Pforzheim:

„Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gemeinden ist entsetzt über die Pläne von Rechtsextremisten (Deutscher Störtrupp), mit völkischen und diffamierenden Parolen in unmittelbarer Nähe des CSDs zu agitieren. Wir sind besorgt über die Gefahr, die von den Rechtsextremisten für die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des CSDs ausgeht. Wir erwarten, dass die Stadt Pforzheim und die polizeilichen Behörden verhindern, dass es zu Bedrohung oder gar Gefährdung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des CSDs während der Veranstaltung, sowie auf den Wegen vor und nach der Veranstaltung, kommt. Darüber hinaus bitten wir dringend, ein Verbot der rechtsextremistischen Gegenveranstaltung anzustreben, weil der „Deutsche Störtrupp“ verfassungsfeindlich agiert und eine Gefahr für die Menschen dieser Stadt darstellt.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – dafür stehen wir ein und bitten alle Christen und Christinnen, sich mit dem CSD solidarisch zu zeigen. Wir werden da sein und mit unserer Anwesenheit ein deutliches Zeichen gegen Hass und Menschenfeindlichkeit setzen“.

Beispiel 3: „Nur“ Pforzheim? Zur Situation in Bad Cannstatt

Beim soziokulturellen Zentrum PRISMA wurden zwei Mal hintereinander Regenbogenflaggen geklaut und zerstört. Auch hier kam es zu einem breiten Protest gegen Hass und rechte Gewalt und wurde erneut eine noch größere Regenbogenfahne am PRISMA wieder angebracht:

„Dehumanisierung an einer Stelle
bedeutet Dehumanisierung jederorts“
Auszüge der Rede von Toni Böckle, stellvertretend für das PRISMA und Fläche e.V. am 30.5.2025 am Bahnhofvorplatz Bad Cannstatt.

07.01.2023
Plakate wurden im Innenhof angezündet und verbrannt. Es wurden Flyer im Treppenhaus der Ateliergemeinschaft verbrannt. Es wurden Sticker der “Revolte Pforzheim”, die gegen Grüne, Antifaschist*innen, Linke und Queerness hetzen, gefunden.

13.11.2024
In der Toilette des KIOSK wurden Sticker von der “Jungen Alternative”, ebenso Sticker der AfD und Sticker, die gegen Queerness hetzen, gefunden.

03.12.2024
Im Innenhof und im Treppenhaus wurden Sticker von “Der III. Weg” und “Deutsche Jugend voran” gefunden.

11.02.2025
Im Innenhof wurden zwei Schmierereien gefunden, die antisemitische Motive aufgreifen.

20.03.2025
Im Innenhof wurde ein Pride-Flag-Sticker mit dem Hakenkreuz übermalt und ein Schriftzug, der gegen Antifaschist*innen hetzt, gefunden.

04.03.2025
Am Faschingsdienstag wurde beim Verlassen des Gebäudes eine Person massiv körperlich und verbal, mit feindlicher und misogyner Beleidigung, angegriffen. Außerdem fand eine Sachbeschädigung statt. (…)

23.03.2025
Bei der Langen Nacht der Museen fand am roten Tor eine Serie von Machtdemonstrationen verschiedener rechter Gruppierungen nach dem Naziaufmarsch in Stuttgart statt. Es wurden am roten Tor Sticker mit der Aufschrift „NS-Zone“ gefunden.

26.04.2025
Nach mehreren, geblockten und unterbundenen vergangenen Versuchen wurde nun die Pride-Flag von der Terrasse des SUNNY HIGH entwendet und auf offener Straße mit einem Messer zerschnitten. Das PRISMA meldet Hausfriedensbruch, Diebstahl, Sachbeschädigung und politisch motivierte Kriminalität und sucht die Öffentlichkeit.

11.05.2025
Vor dem roten Tor wird die verbotene, als Straftat bewertete, erste Strophe der Nationalhymne gesungen.

16.05.2025
Es werden queerfeindliche Ausrufe von der Schwemme in Richtung SUNNY HIGH bei der Nacht arabischer Poesie im Rahmen des Literaturfestivals bezeugt.

In der Nacht vom 25.05. – 26.05.2025
wurde erneut die Interims-Pride-Flag von der Terrasse des SUNNY HIGH entwendet und auf offener Straße angezündet. (…)

Seit 2021 befindet sich nun schon das PRISMA, vertreten durch Fläche e.V., durch das Prinzip der Zwischennutzung in der ehemaligen Schwaben-Bräu-Passage in Bad Cannstatt. Als selbstverwaltetes, soziokulturelles Zentrum funktioniert das PRISMA als zivilgesellschaftliche Arbeitsstätte. PRISMA stellt Arbeitsräume für Initiativen, künstlerische und sozio-politische Akteur*innen bereit. (…)
Im Namen des PRISMAs, dieser Ort mit vielen Bedeutungen und Stimmen, danke ich jeder Person und jeder Initiative, die jeden einzelnen Tag Entscheidungen treffen um jeden einzelnen Tag der Möglichkeit näher zu kommen, dass das PRISMA unser zu Hause wird, ist und bleibt. An jede Person die sich entschieden hat, heute (…) hier zu sein, um ein klares Solidaritätssignal zu senden: Wir sind berührt, erleichtert und dankbar über eure Solidaritätsbekundungen und solidarischen Aktionen.

Neue Neonazi-Jugendgruppen

Auszüge der Antwort der Bundesregierung (21/193) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (21/81):

Seit Beginn des Jahres 2024 treten in verschiedenen Bundesländern neue neonazistische Gruppen mit Namen wie „Elblandrevolte“, „Pforzheimrevolte“, „Letzte Verteidigungswelle“, „Deutsche Jugend Voran“, „Jung und Stark“, „Der Störtrupp“, „Nationalrevolutionäre Jugend“ oder „Deutsche Jugend zuerst“ auf. (…) Wie schätzt die Bundesregierung die aktuelle Gefährdungslage durch neu entstehende, gewaltbereite rechtsextremistische Jugendgruppen ein (…)?
Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung der neu entstehenden, gewaltbereiten rechtsextremistischen Jugendgruppen intensiv. (…) Aufgrund der Gewaltbereitschaft des Personenpotenzials sowie der gefestigten Strukturen der Personenzusammenschlüsse ist (…) eine abstrakte Gefährdung für Personen, die den rechtsextremistischen Feindbildern der Gruppen entsprechen, gegeben. Dazu gehören insbesondere Angehörige der LGBTQ-Community, der „linken“ Szene sowie Personen mit Migrationshintergrund. (…)

Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Gruppen vor (…)?
„Elblandrevolte“: Die „Elblandrevolte“ ist eine Gruppierung der „Jungen Nationalisten“ im Raum Dresden (Freistaat Sachsen). Bei den „Jungen Nationalisten“ handelt es sich um die Jugendorganisation der rechtsextremistischen Partei „Die Heimat“ (vormals NPD). (…)
„Pforzheim Revolte“: Die „Pforzheim Revolte“ gründete sich im Jahr 2020. Zu Beginn wurde die Gruppe der „Identitären Bewegung“ zugeordnet. Seit 2023 (…) richteten sich die Aktionen der Gruppe vorwiegend gegen die LGBTQ-Community und den politischen Gegner. (…)
„Letzte Verteidigungs Welle“ (L. V. W.), „Deutsche Jugend Voran“ (DJV), „Jung & Stark“ (JS), „Der Störtrupp“ (DST), „Deutsche Jugend zuerst“ (DJZ): Die Mitglieder sind dem aktionsorientierten und gewaltbereiten rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen. Für die rechtsextremistischen Agitationen bedienen sich die Mitglieder dieser Gruppierungen ideologischer Fragmente des Rechtsextremismus, die primär in der Auswahl der Feindbilder – insbesondere der linksextremistischen „Antifa“ oder der LGBTQ-Community – Ausdruck finden. Diese Feindbilder dienen als Projektionsfläche für rechtsextremistisch motivierte, teils gewaltbezogene Aktionen. (…)
Die Rekrutierung durch die genannten Personenzusammenschlüsse findet hauptsächlich über die sozialen Medien und Messenger-Dienste statt und richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene. Die Altersspanne der Mitglieder der genannten Personenzusammenschlüsse liegt aktuell zwischen 16 und 35 Jahren. (…) Mehrfachmitgliedschaften sind bislang die Ausnahme, allerdings kam es insbesondere bei Störaktionen gegen Christopher-Street-Day-(CSD-)Veranstaltungen und gegen Kundgebungen der linken Szene zur gemeinsamen Teilnahme von Akteuren unterschiedlicher rechtsextremistischer Organisationen und Parteien.