3. April 2024: Booklet „Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er Jahre – 1950er Jahre)“ erschienen

Lesbische Lebenswelten in der Weimarer Republik und zur Zeit des Nationalsozialismus sind Thema einer Booklet-Vorstellung, zu der Wissenschaftlerinnen der Universität Heidelberg einladen. Sie präsentieren Ergebnisse aus einem zweijährigen Forschungsprojekt, das an den Universitäten Heidelberg und Freiburg angesiedelt war. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und wie es zwischen den 1920er Jahren und 1945 gelingen konnte, innerhalb der von Politik, Recht, Gesellschaft und Wissenschaft gesetzten Normen nicht-normative Lebensentwürfe zu realisieren, und welche Auswirkungen Verfolgungen und Ausgrenzung in der Nachkriegszeit hatten. Die Veranstaltung, die Teil des Festivals „OPEN DYKES“ ist, findet am 3. April 2024 im Interkulturellen Zentrum Heidelberg statt. 

Anliegen des Forschungsprojekts war es, lesbische Lebenswelten zur Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus aus interdisziplinärer Perspektive zu erforschen. In Teilprojekten widmete sich das Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern und Prof. Dr. Karen Nolte (Heidelberg) sowie Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Freiburg) lesbischen Kulturräumen und Netzwerken, medizinischen Diskursen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen. Das Projekt wurde vom baden-württembergischen Wissenschaftsministerium gefördert. Mit dem neu erschienenen Booklet „Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er Jahre – 1950er Jahre)“, das die zentralen Ergebnisse des Projekts zusammenfasst, wollen die Wissenschaftlerinnen ihre Forschung einem interessierten Publikum zugänglich machen. 

„Die Lebensgeschichten lesbischer Frauen sollten nicht allein in einer Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung aufgehen. In ihrer Lebenssituation bündeln sich vielmehr wie unter einem Brennglas zentrale Aspekte und Strukturen der Lebensgestaltung von Menschen, die einer gesellschaftliche Minderheit zugerechnet werden, und des gesellschaftlichen Umgangs der Zeit mit Vielfalt“, betont Prof. Patzel-Mattern. Das Booklet gibt es in Printform; es ist außerdem als digitale Version online abrufbar. Ein inzwischen gestartetes Folgevorhaben, ebenfalls in Heidelberg und Freiburg angesiedelt, befasst sich mit lesbischem Leben in der Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre. (…)

Die Booklet-Vorstellung am 3. April findet im Interkulturellen Zentrum Heidelberg, Bergheimer Straße 147, statt und beginnt um 19 Uhr. Referentinnen sind Prof. Patzel-Mattern, Historisches Seminar der Universität Heidelberg, Muriel Lorenz, Historisches Seminar der Universität Freiburg, sowie Prof. Karen Nolte und Steff Kunz vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg.

(Quelle: https://www.uni-heidelberg.de/de/newsroom/booklet-vorstellung-lesbische-lebenswelten-in-der-weimarer-republik-und-der-ns-zeit und https://lesbenwelt.hypotheses.org/2530)

Zum open Access geht es hier.

2023: Queer in Schwäbisch Gmünd: das Projekt „Einhorn sucht Regenbogen“

Seit Juli 2022 gibt es in Schwäbisch Gmünd die von den Kooperationspartnern Gmünder VHS, Stadtarchiv, Museum im Prediger und der Stabsstelle Chancengleichheit der Stadt Schwäbisch Gmünd ins Leben gerufene und von Arnd Kolb geleitete queere Geschichtswerkstatt „Einhorn sucht Regenbogen“. Auf ihrer Webseite schreiben sie zu ihrem Projekt:

„Queer – ein kurzes Wort und doch so viel mehr: Es geht um Vielfalt, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität. Es geht aber auch um Achtung und Würde und am Ende vor allem um eins: Liebe. Mit einem offenen Blick auf die Diversität in unserer Stadt möchte das Projekt »Einhorn sucht Regenbogen« lokalen Entwicklungen nachspüren, verborgene Traditionen entdecken und das queere Leben in Gmünd in Geschichte und Gegenwart noch sichtbarer machen. (…) Dafür wurden Gespräche geführt und nach Unterlagen und Objekten gesucht und auch gefunden. Was dabei herauskam, ist spannend und aufschlussreich: Was war der Kreis der Freunde? Welches Schicksal hatte Irene S.? Wie lebt es sich mit nicht-binärer Geschlechtsidentität in Gmünd? Warum ist das Einhorn für manche mehr als ein Wappentier? Weshalb musste der »Parteigenosse« Ernst Haug ins Zuchthaus? Was ist eine Klappe? War der Stadtgarten eine Cruising Area? Und welche Rolle nahm der Bahnhof ein?

An diesen Fragestellungen wird die Vielfalt queerer Gmünder und ihre(r) Geschichte(n) deutlich, die derzeit auf der Webseite mit dreizehn Orten in Schwäbisch Gmünd verbunden sind. Zu Ernst Haug, auf den wir in unserer digitalen Gedenkkarte eingehen, hat uns Dr. Niklas Konzen vom Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd Folgendes geschrieben:

„Die Artikel auf der-liebe-wegen.org waren für uns ein sehr wertvoller Ansatzpunkt und Anstoß für weitere Recherchen zu Gmünder Biographien, insbesondere im von Ihnen bearbeiteten Fall Ernst Haug, zu dem wir eine Fülle weiterer Dokumente erschließen und einen Kontakt zu seiner Tochter herstellen konnten, die uns bereitwillig als Zeitzeugin Auskunft gegeben hat. (…) Die Informationen auf der-liebe-wegen.org waren für uns sehr hilfreich und wir werden in Zukunft sicherlich auch weiteren Fällen mit Lokalbezug nachgehen.“

Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Beitrag „Von der Wehrmacht ins Emsland-KZ: Wie §175 einen schwulen Gmünder aus der Konformität ins Elend riss“ von Dr. Niklas Konzen sowie das Video zum Gmünder Projekt „Rainbow Refugees“, für das Joschi Moser und die Rainbow Refugees beim Projekt Vielfalt 2023 ausgezeichnet wurden.

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Joschi Moser und die Rainbow Refugees wurden beim Projekt Vielfalt 2023 ausgezeichnet.

Wir empfehlen insbesondere auch die Beiträge „Auf dem falschen Klo“ von Sera Panos zum Leben nichtbinärer Gmünder, Ich bin nicht anders – ich bin ich. Trans in Schwäbisch Gmünd“ sowie den traurigen Artikel „Vor Eilzug geworfen“ – Das Schicksal der Irene S.“. In der Einleitung zu diesem berührenden Beitrag heißt es:

„Kann man in Deutschland offen queer leben? Man kann! Allerdings ist die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Es gibt in der Gesellschaft nach wie vor Ausgrenzung, Diskriminierungen, Hass und Gewalt. Was macht das mit den Betroffenen? Die Folgen sind dramatisch. LSBTTIQ* Menschen haben eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, an Depressionen zu erkranken. Und laut internationalen Studien sind die Suizidraten bei queeren Jugendlichen signifikant höher (…). Die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache. Sie haben jedoch keine Aussagekraft über das Vergangene. Über die unzähligen Schicksale, wie das von Irene S.“

Als Teilnehmende der Geschichtswerkstatt werden auf der Webseite genannt (Stand: 21. Oktober 2023): Arnd Kolb, Projektleitung, Jenny Adami, Brigitte Häussermann, Sarah Heller, Jana Königsmann, Joschi Moser und Peter Palm.

Ralf Bogen, 22. Oktober 2023

2022: „Queer im Leben!“ – Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region

Über geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Geschichte und Gegenwart der Rhein-Neckar-Region und ihren Zentren Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen ist in 2022 ein 344-seitiges Buch mit dem Titel „Queer im Leben!“ erschienen. Es enthält Beiträge von Dana-Livia Cohen, Wolfgang Knapp und Christian Könne. Alle drei Autor:innen waren 2015/16 im Auftrag des Stadtmuseums Ludwigshafen am Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Vom anderen Ufer – lesbisch und schwul, BTTIQ* in Ludwigshaften am Rhein und anderswo“ beteiligt. Das Buch umfasst auch eine DVD-Filmdokumentation, in der Ausschnitte aus Fernsehsendungen und Reportagen sowie aktuelle Zeitzeug:nnenberichte und Statements gezeigt werden.

Eine große Stärke des Buches ist es, dass es neben den negativen Themen wie Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung, auch die regionale Emanzipationsbewegung von ihren Anfängen bis heute darstellt, die gerade in den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte erzielen konnte. Im Kapitel zur Weimarer Republik finden sich weitere interessante Details über die frühen queeren Selbstorganisationen, wie wir diese bereits für Heidelberg und Mannheim auf unserer Webseite www.der-liebe-wegen.org 2017 dargestellt hatten.

Die abwechselnden, insgesamt 36 Kapitel, in denen einmal das Leben von Einzelpersonen und einmal thematische Sachverhalte im Vordergrund stehen, sowie das ansprechend bunte Layout mit 140 Farb- und Schwarz-/Weiß-Abbildungen tragen zur Lebendigkeit des Buches bei. Positiv hervorzuheben ist auch, dass neben der Vielfalt der sexuellen Orientierungen die Autoren sich bei den verschiedenen Kapiteln immer wieder bemühen, dem Thema geschlechtliche Vielfalt einen angemessenen Raum zu geben.

Im Kapitel „Verfolgung in der NS-Zeit“ werden die Verbrechen der NS-Diktatur anhand einer Übersicht jener Männer mit Bezug zur Rhein-Neckar Region sichtbar gemacht, die wegen angeblicher Homosexualität verfolgt wurden und im KZ verstorben sind. Schade finde ich, dass hier nicht deutlich gemacht wird, auf welchen Recherchearbeiten diese Übersicht überwiegend basiert. Lediglich in einer Fußnote werden neben einzelnen Publikationen auf die Liste von homosexuellen NS-Opfern aus Baden-Württemberg in der vom Sozialministerium Baden-Württemberg geförderten Wanderausstellung „Sie machen Geschichte“ hingewiesen, die auf den Recherchen unseres Projekt „Der Liebe wegen“ herrührt, wobei hier insbesondere Rainer Hoffschildt genannt werden soll, der schon seit über 30 Jahren außerinstitutionelle Recherchearbeit leistet.
Weiter wird im Kapitel „Verfolgung in der NS-Zeit“ ausgeführt: „Viele Männer aus Baden, die wegen angeblicher Homosexualität verfolgt wurden, wurden in die Emslandlager nach Rodgau oder nach Natzweiler deportiert.“ Hier wird Julia Noah Muniers Arbeit „Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert“ als Quelle in einer Fußnote genannt, wobei Munier selbst in ihrem Buch dazu auf der angegeben Seite 271 schreibt: „Im Zuge der Recherchen des Projekts ‚Der Liebe wegen. Von Menschen, die wegen ihrer Liebe und Sexualität ausgegrenzt und verfolgt wurden“ (…) wurde die NS-Verfolgung homosexueller Männer und deren Verschleppung in Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslager umfangreich dokumentiert und eine interaktive Gedenkkarte mit zahlreichen biografischen Darstellungen erstellt. Es konnte von den beteiligten Geschichtsforscher_innen und Historiker_innen in diesem Zusammenhang nachgewiesen werden, dass nach §175, §175a RStGB verfolgte Männer mit einem biografischen und/oder verfolgungsbezogenen Bezug zur Region des heutigen Baden-Württembergs u. a. verstärkt in die sogenannten Emslandlager sowie in das Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg (Hessen) verbracht wurden. Die Forschungen zeigen, das mehr als ein Fünftel der von den Forscher_innen berücksichtigten Männer, das sind rund 60 Personen, zeitweilig in einem der Emslandlager und ein Drittel dieser Gruppe zeitweilig im Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg in Hessen inhaftiert waren.“  
Dass auch die Bedeutung der Geschichtsarbeit außerinstitutioneller Akteur:innen und Initiativen wertschätzend genannt werden können, zeigt gerade Munier, wenn sie in der Einleitung ihrer Veröffentlichung schreibt: „Die vorliegende Untersuchung profitiert erheblich davon, dass zivilgesellschaftliche Akteure in Baden-Württemberg seit den 1980er Jahren in Eigeninitiative Material zusammentrugen und für die Verfolgung Homosexueller im NS-Regime gesellschaftlich sensibilisierten. (…) Zugleich knüpft diese Studie an wichtige regionale und lokale außerinstitutionelle Arbeiten zur Verfolgung homosexueller Männer nach §175 (R)StGB in Baden und Württemberg an ((S. 11ff„. Als „besonders hervorzuheben“ nennt Munier das „Bildungs- und Aufklärungsprojekt ‚Der Liebe wegen‘“.

Trotz dieser Mängel in der Quellennennung und Darstellung jener Akteur:innen, die als Teil der Emanzipationsbewegung Geschichtsarbeit geleistet haben, ist das Buch eine wichtige Bereicherung zur Sichtbarmachung queeren Lebens in der Rhein-Neckar-Region.

Ralf Bogen

2021/2022: Forschungsprojekt der Universitäten Heidelberg und Freiburg zu lesbischen Lebenswelten zwischen 1920 und 1970

Erst seit 2021 arbeiten Wissenschaftlerinnen der Universitäten Heidelberg und Freiburg an einem interdisziplinären Forschungsprojekt zu lesbischen Lebenswelten zwischen 1920 und 1970 im deutschen Südwesten, geleitet von Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Frau Prof. Dr. Karen Nolte sowie Prof. Dr. Sylvia Paletschek. „Lange Zeit sind Forschungsarbeiten mit Fokus zur Geschichte weiblicher Homosexualität außerhalb der Universitäten und Akademien entstanden und waren Ergebnisse von Privatinitiativen innerhalb der autonomen Frauenforschung“, so Ute Reisner von der Themengruppe Geschichte des Landesnetzwerk LSBTTIQ Baden -Württemberg in einem Beitrag „Wissenschaftlerinnen erforschen Geschichte lesbischer Frauen in Baden-Württemberg“ der badischen Neuesten Nachrichten. Insbesondere das Netzwerk setzte sich erfolgreich dafür ein, dass nun endlich finanzielle Mittel zur Erforschung des Lebens lesbischer Frauen zur Verfügung gestellt wurden.

Beklagenswerter Quellenmangel kein Zufall
Ressentiments und Repressionen gegenüber weiblicher Homosexualität, als auch Verschweigen und Verdrängen lesbischen Lebens aus der Öffentlichkeit werden im Forschungsprojekt als Ursachen genannt, die im Vergleich zur Aufarbeitung der Verfolgung schwuler Männer unter dem Paragraphen175, zur mangelnden und offiziell spät startenden Aufarbeitung lesbischer Geschichte führten. Einhergehend mit der Verbannung lesbischer Frauen aus dem öffentlichen Raum ist ein beklagenswerter Quellenmangel zu verzeichnen. Dennoch so das erklärte Ziel der am Projekt beteiligten Forscherinnen, soll dieser Mangel nicht länger den immer noch herrschenden Status Quo rechtfertigen, diesem Forschungsbereich die notwendigen finanziellen Mittel weiter zu entsagen.

Fragen des Forschungsprojekts
So gehen nun Wissenschaftlerinnen der Universitäten Heidelberg und Freiburg folgenden Fragen nach:

  • Wie lebten Frauen, die Frauen begehrten, in den Jahren zwischen 1920 und 1970?
  • Auf welche Hindernisse und Diskriminierungen stießen sie insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus und welche Nachwirkungen hatten diese Verfolgungen und Ausgrenzungen in der Zeit nach 1945?
  • Konnte es gelingen, innerhalb der von Politik, Recht, Gesellschaft und Wissenschaft gesetzten Normen nicht-normative Lebensentwürfe zu realisieren?

Erste Befunde
Aufgrund des Verschweigens und der Unsichtbarmachung lesbischen Lebens in der Geschichte, so ein erster Befund, muss in einer intersektionalen Herangehensweise die Geschichte lesbischen Lebens aufgespürt und erforscht werden. Frau Prof. Sylvia Palatschek verdeutlicht dies am Beispiel der Verfolgung lesbischer Frauen in der NS-Zeit. Frauen wurde nicht aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt und in Konzentrationslagern interniert, sondern wurden des unzüchtigen Verhaltens oder fehlender Sittlichkeit bezichtigt und als asozial oder kriminell betitelt und strafrechtlich verfolgt. Sie unterlagen vielfältigen Diskriminierungsformen. Lesbisch-Sein verschränkte sich mit NS-typischen Verfolgungskategorien, so Frau Prof. Palatschek weiter. Daher waren Lesben von rassehygienischen, poilitischen, antisemitischen und gegen nonkonforme Lebensweisen ausgerichteten Repressionen betroffen. Frau Prof. Karen Nolte verweist darauf, dass in den Quellen das Wort lesbisch, oder zeitgenössisch die Begriffe „invertiert“ und „konträrsexuell“ in der Regel nicht explizit zu finden sind. Bei der Untersuchung muss daher genauer hingesehen werden, um dort lesbisches Leben ausfindig zu machen. Mit diesem auf Intersektionalität ausgerichteten Blick beschäftigen sich die Forscherinnen des Projekts mit Quellen der sogenannten Kameradschaftsehe, mit Strafprozessakten, mit KZ-Akten und den darin enthaltenen, unterschiedlichsten Verfolgungstatbeständen, sowie mit Psychatrie-, Fürsorge- und auch Scheidungsprozessakten.

Ankündigung:Der Liebe wegen“ wird nachfragen, welche weitere Erkenntnisse im Rahmen des Forschungsprojekts gewonnen werden konnten und wie es mit dem Projekt und dessen Finanzierung in 2023 weitergeht.

Kerstin Bosse und Christel Stroh

Quellen / Zum Weiterlesen:

Das Blog-Portal-Hypothestes
Folgende aktuelle Texte zum Forschungsprojekt „Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er-1970er Jahre)“ sind bislang beim Blog-Portal Hypotheses unter https://lesbenwelt.hypotheses.org/ veröffentlicht:



2021/2022: Queer durch Tübingen

Udo Rauch vom Stadtarchiv und der Berliner Historiker Karl-Heinz Steinle führten in der Reihe „Kennen Sie Tübingen?“ am 4. September 2017 fast 250 Interessierte durch die Tübinger Altstadt. Sie berichteten von Menschen, deren Lebensgeschichten bislang verschwiegen, verdrängt und vergessen waren. Es ging um queere Menschen, welche die Geschichte der Stadt aktiv mitgestaltet hatten oder Opfer von Verfolgung und Repression waren. Nach dieser Führung „Queer durch Tübingen“ stand im Stadtarchiv das Telefon nicht mehr still. Bestärkt durch das große Interesse, beschloss der Stadtarchivar und der Historiker Karl-Heinz Steinle sich mit diesem bislang noch nicht erzählten Teil der Tübinger Geschichte eingehender zu befassen. Das Forschungsprojekt „Queer durch Tübingen“ war geboren.

Vier Jahre des Sammeln, Forschen und Zusammentragen haben sich gelohnt: vom 25. September 2021 bis 13. März 2022 wurden in einer Ausstellung im Stadtmuseium 24 Biografien aus Tübingen aus 200 Jahren präsentiert. Darunter nicht nur schwule Männer oder lesbische Frauen, sondern auch trans- und interesexueller Menschen. Repression, Verfolgung, Lebenslust, Emanzipation, jurstische Lockerungen und medizinische Möglichkeiten der queeren Community und ihre Entwicklung werden lebendig. Das zeigen auch die nachfolgend dargestellten Videos zur und über die Ausstellung.

Ralf Bogen

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2021: Ergebnisse im Rahmen des Forschungsprojekts der Universität Stuttgart von Julia Noah Munier

Anfang 2021 ist Julia Noah Muniers Arbeit „Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert“ als Buch erschienen. Diese Studie ist, wie es im Geleitwort heißt, die erste von drei Teilen des Forschungsprojekts des Instituts für Neuere Geschichte der Universität Stuttgart.

In drei übergeordnete Kapitel gegliedert, enthält die Arbeit von Munier viele Details zu den Schicksalen und Lebenswelten von homosexuellen Männern aus Baden und Württemberg während der Weimarer Republik (S. 43-135), während der NS-Diktatur (S. 136-290) und während der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit (S. 291-399). Dabei sind insbesondere dargestellte Zeugnisse brisant, welche die homosexuellen Männer nicht nur als Opfer von Diskriminierung und Verfolgung, sondern auch als sich selbst behauptende Akteure beschreiben. Als Beispiel hierfür seien die Besuche von Silvester- und Karnevalfeiern in der Schweiz genannt, wo unter anderem Alfred Jenny, der Protokollant des „Schweizerischen Freundschafts-Verbandes“ wie folgt zitiert wird (S. 286): „Es möchte uns ja wohl schon bekannt sein, dass denselben Artgenossen speziell in Deutschland alles unterbunden ist, sie freuten sich deshalb zehnfach, unter uns Schweizern wenn auch nur kurze Zeit ein paar frohe und angstfreie Stunden geniessen zu können“ (es ging hier um die Silvesterfeier 1933/34). Weiter wird beschrieben, wie homosexuellen Männern von ihren „Artgenossen“ zur Flucht in die Schweiz geholfen wurde. Aus dem Kapitel zur Nachkriegszeit geht die wichtige Rolle von Aktivist:innen aus unserer Region für die Liberalisierung des §175 StGb hervor (siehe hierzu auch den Bericht über die Fachtagung zur LSBTTIQ-Geschichte „Zukunft braucht Erinnerung“ im Hotel Silber).

Wir freuen uns darüber, dass Munier zur Rolle außerinstitutioneller Initiativen und zu unserer Webseite „Der Liebe wegen“ in der Einleitung schreibt: „Die vorliegende Untersuchung profitiert erheblich davon, dass zivilgesellschaftliche Akteure in Baden-Württemberg seit den 1980er Jahren in Eigeninitiative Material zusammentrugen und für die Verfolgung Homosexueller im NS-Regime gesellschaftlich sensibilisierten. (…) Zugleich knüpft diese Studie an wichtige regionale und lokale außerinstitutionelle Arbeiten zur Verfolgung homosexueller Männer nach §175 (R)StGB in Baden und Württemberg an (…) Besonders hervorzuheben ist das (…) Bildungs- und Aufklärungsprojekt ‚Der Liebe wegen‘.“ (S. 11ff)

Konkret heißt es beispielsweise zum quantitativen Ausmaß der Verfolgung während der NS-Zeit in Muniers Arbeit: „Schätzungen Rainer Hoffschildts zufolge wurden in den Jahren 1933 bis 1939 in den OLG-Bezirken Stuttgart und Karlsruhe über 900 Personen nach §175, §175a RStGB verurteilt. (…) Reichsweit wurden ca. 5-10% der nach §175, §175a RStGB verurteilten Männer in Konzentrationslager verbracht. 90-95% der homosexuellen Männer wurden zur Strafverbüßung in Justizanstalten untergebracht. Diese Zahlen sind auch für Baden und Württemberg anzunehmen. Gestützt auf neuere Forschungen des Geschichtsprojektes „Der-Liebe-wegen“ konnte hier gezeigt werden, dass homosexuelle Männer mit Bezug zur Region des heutigen Baden-Württemberg u. a. vermehrt in die Emslandlager, in das Lager Rodgau Dieburg, in das KZ Natzweiler und das KZ Dachau deportiert wurden.“ (S. 406/407)

Muniers umfassende Darstellung stellt einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Aufarbeitung staatlicher Verfolgung homosexueller Menschen dar und leistet durch den Einbezug von Selbstzeugnissen und von Lebenswelten in ländlichen Räumen wertvolle Impulse für die weitere Forschung.

Ralf Bogen


27. Januar 2018: „Sie machen Geschichte“ – Flyer zur vielfältigen LSBTTIQ-Geschichte in Baden-Württemberg

Anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.2018 haben Rosa Hilfe Freiburg, die Universität Stuttgart, Hi. Abt. Neuere Geschichte und Weissenburg gemeinsam einen Flyer herausgegeben. Hier heißt es u. a. , dass eines der Ziele des landesweiten Aktionsplans „Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg“ „die Würdigung der LSBTTIQ-Geschichte als Teil der Landesgeschichte und die Aufarbeitung der Ausgrenzungen, Repressionen und Verfolgungen von Menschen in Baden-Württemberg“ sei, „die nicht der heterosexuellen Norm und/oder traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit  und Weiblichkeit entsprechen wollen oder können. Dieser Geschichte widmen sich – auf unterschiedliche Art und Weise – zwei eigenständige Webseiten: www.der-liebe-wegen.org von den Vereinen Weissenburg in Stuttgart und Rosa Hilfe in Freiburg und www.lsbttiq-bw.de von der Abteilung Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Universität Stuttgart.“
Die Flyererstellung und -verbreitung wird unterstützt durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg sowie dem Institut für Zeitgeschichte, München. Gefördert wurde der Flyer vom Ministerium für Soziales und Interegration Baden-Württemberg: siehe: SieMachenGeschichte_Flyer_Ansicht.

August 2017: Die Internetseite „Vom anderen Ufer?“ des Stadtmuseum Ludwigshafen

Das Stadtmuseum Ludwigshafen hatte eine Ausstellung zur schwul-lesbischen und queeren Vielfalt im Raum Ludwigshafen/Mannheim initiiert, entwickelt und von November 2015 bis Mai 2016 gezeigt. Daraus entstand die vorliegende Internetseite „Vom anderen Ufer?“, die seit August 2017 online ist (Quelle: http://www.vom-anderen-ufer.de/).

Januar 2017: Universitäre und außeruniversitäre Forschung in Baden-Württemberg

Schon lange war es Wunsch der regionalen LSBTTIQ-Selbstorganisationen und der außeruniversitär Forschenden in Baden-Württemberg, in einem staatlich geförderten Forschungsprojekt die Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte von LSBTTIQ-Menschen in der Region des heutigen Baden-Württemberg aufzuarbeiten und in einem Internetprojekt für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, – sehr gerne gemeinsam mit der universitären Geschichtsforschung.
Es kam anders: das Historische Institut der Universität Stuttgart, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und das Institut für Zeitgeschichte erhielten Fördergelder, ohne eine Einbindung der regionalen LSBTTIQ-Selbstorganisationen und der außeruniversitär Forschenden von Anfang an realisieren zu müssen. Dabei wäre bereits bei Konzeption und Zielfindung des mehrteilig angelegten Forschungsprojekts der „Etablierten“ eine Beteiligung der „Nicht-Etablierten“ kein Nachteil gewesen, – schade um die dort verpassten Chancen.
Der Start des universitär geleiteten Forschungsprojekts „LSBTTIQ in Baden und Württemberg. Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und der Bundesrepublik Deutschland.“ ohne Beteiligung der langjährig engagierten Community blieb von dieser natürlich nicht unkommentiert und hat diese erneut „bewegt“:
In Kooperation von Weissenburg e. V., Stuttgart, und Rosa Hilfe Freiburg e. V. wurde ein Antrag auf Fördermittel im Rahmen des Aktionsplans der Landesregierung für Akzeptanz und gleiche Rechte gestellt: Ziel war die Realisierung des Internetprojekts „Der Liebe wegen“. Unter diesem Titel sollte und wird nun der Erkenntnisstand außeruniversitär Forschender zur Ausgrenzungs- und Verfolgungsgeschichte zusammenfassend dargestellt.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung war den Beteiligten aus der Community nicht bekannt, dass im Rahmen des universitär geleiteten Forschungsprojekts von Beginn an, – d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keine universitären Forschungsergebnisse aus dem Projekt heraus vorliegen konnten –, ebenso ein Internetportal vorgesehen war.
Nun gibt es also gegenwärtig zwei Internetportale zum Thema. Seitdem wir wissen, dass dem so ist, setzen wir uns für eine abgestimmte Öffentlichkeitsarbeit ein.
Für Ende März / Anfang April 2017 sind weitere Gespräche hierzu vereinbart, nicht die ersten Gespräche und sicher auch nicht die letzten. Wir wünschen eine Zusammenarbeit, die alle Beteiligten als Bereicherung erleben können, zumal bei einigen wichtigen Themen die Möglichkeiten und zeitlichen Kapazitäten außeruniversitär Forschender an Grenzen gelangen, um deutliche Fortschritte zu erreichen.
Als Beispiele seien hierfür genannt:

  • die Geschichte der Repression geschlechtlicher Vielfalt in der Region des heutigen Baden-Württemberg während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit;
  • Schnittmengen, Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen einer patriarchalisch-repressiven Geschlechter- und Familienpolitik, der Frauen- und LSBTTIQ-Emanzipationsbewegungen, insbesondere der Lesbenbewegung, in der Region des heutigen Baden-Württemberg;
  • die umfassende Aufarbeitung von Kastrationen und Isolationshaft von §175-Strafgefangenen bis in die 60er Jahre in Baden-Württemberg;
  • eine Aufarbeitung der Rolle der Kirchen sowie der Universitäten (hier insbesondere die Lehrinhalte bei den Studienfächer Psychiatrie, Medizin, Psychologie, Religionswissenschaften, Geschichte) bei der Ausgrenzung, Verfolgung und Pathologisierung von LSBTTIQ-Menschen.

Wir empfehlen das Internetportal www.lsbttiq-bw.de, da hier viele interessante Beiträge noch einmal von einem anderen Blickwinkel erstellt, ausgewählt und veröffentlicht wurden und noch werden, insbesondere die sehr wichtigen und spannenden Zeitzeug_innen-Videointerviews, die man sich hier anschauen kann (siehe http://www.lsbttiq-bw.de/zeitzeuginnen-interviews/ ).

27./28. Juni 2016: Fachtagung „Späte Aufarbeitung“

Vom 27. bis zum 28. Juni 2016 fand in Bad Urach die Fachtagung „Späte Aufarbeitung. Lebenswelten und Verfolgung von LSBTTIQ-Menschen im deutschen Südwesten“ statt, zu der die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die Universität Stuttgart, das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg eingeladen hatten und wo das oben genannte Forschungsprojekt vorgestellt wurde:

Wir, Kim Schicklang, Claudia Weinschenk und Ralf Bogen, konnten unsere Sichtweise und Anregungen zu dieser „späten Aufarbeitung“ in Baden-Württemberg in einem Vortrag darstellen und dabei unser Homepageprojekt kurz vorstellen. Die wichtigsten Kernpunkte unseres Vortrags finden sich im Positionspapier-zur-Fachtagung-2016.