Im Rückblick auf den diesjährigen Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter-, Trans- und Asexuellen-Phobie (IDAHOBITA) 2024 veröffentlichen wir folgende Beiträge und bedanken uns bei den Autorinnen : „Zum Nachdenken – IDAHOBITA 2024“ von Danielle Gehr, Weissenburg e.V. – Regenbogen.Refugium und „Wir brauchen die Freiheit so sehr, wie die Freiheit uns braucht“ von Marion Remmele, Mitarbeitende beim Frauenberatung- und Therapiezentrum Stuttgart.

Passend zum ersten Beitrag wollen wir auf den Artikel WARUM AM INTERNATIONALEN TAG GEGEN HOMO-, BI-, INTER-, TRANS- & ASEXUELLENFEINDLICHKEIT (IDAHOBITA*) AN FRITZ BAUER ERINNERN? hinweisen, in dem es heißt: „Wir dürfen nicht vergessen: niemand flieht freiwillig, verlässt freiwillig seine Lieben. Erinnern wir uns heute an all die queeren Menschen, die in den Jahren 1933 bis 1945 vor Nazi-Deutschland oftmals von heute auf morgen fliehen mussten und im Exil Heimweh nach ihren Eltern, nach ihren Geschwistern, ihren Freunden und ihrer vertrauten Umgebung hatten. Vergessen wir heute nicht, wie wichtig es für die Geflüchteten damals war, dass ihnen in anderen Ländern geholfen wurde, dass sie Schutz und Sicherheit gefunden haben.“


Zum Nachdenken – IDAHOBITA* 2024

Artikel 1 des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Am 14. Dezember 2023 betreten vier Polizeibeamtinnen und -beamte um 3:10 in Stuttgart das Zimmer eines geflüchteten lesbischen Paares. Zwei zusätzliche Kräfte positionieren sich vor der Türe. Beide Frauen schlafen. Die Beamtinnen und Beamten rufen den Namen einer der Frauen und erklären, dass sie nun diese, und nur diese abschieben werden. Die betroffene Frau, sie wiegt 51 kg, gerät in Panik, da sie ihre Partnerin verlassen soll. Da sie psychisch nicht in der Lage ist einen Koffer zu packen, werden von einer Beamtin einige Kleidungsstücke aus dem Schrank in einen Rucksack gepackt. Ohne Jacke verlässt sie das Haus und wird im Winter nach Finnland abgeschoben.

Artikel 1 des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Im März 2024 betreten 4 Polizeibeamtinnen und – beamte um 3 Uhr morgens eine Unterkunft für Geflüchtete in Stuttgart. Sie klopfen an fast allen 50 Türen an und wecken dabei etwa 70 Menschen. Sie suchen eine Mutter mit ihren drei 12, 16 und 18jährigen Töchtern. Sie finden sie schließlich und schieben sie nach Belgien ab. Die Tante räumte 3 Tage später alles zusammen, was an Eigentum nicht in 4 Rucksäcke oder Taschen gepasst hat und schickt es auf eigene Kosten nach.

Artikel 1 des Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Eine lesbische Frau im November 2023 an der bosnisch – kroatischen Grenze:

„Etwa 9-10 kroatische Polizisten mit schwarzen Uniformen und Skimasken fesseln uns. Wir sind 30 Personen, davon die Hälfte Kinder. Sie schlagen uns mit Metallstöcken und Pistolengriffen. Sie schießen in die Luft. Sie machen Fotos mit ihren Handys, singen, lachen und machen sich über uns lustig. Dann schütten sie die Kekse, Fruchtsäfte und Säfte, die wir für die Kinder dabei haben auf uns. Sie nehmen alle unsere Habseligkeiten und Handys mit und lassen uns zurück.“

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 11.05.2023: 
In Kroatien besteht grundsätzlich weder für nicht vulnerable, noch für vulnerable Dublin-Rückkehrende die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, auch nicht im Hinblick auf Push-Backs oder Kettenabschiebungen.

Verwaltungsgericht Sigmaringen, Beschluss vom 13.11.2023:
Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass systemische Mängel im kroatischen Asylsystem bestehen und dem Antragsteller auch als Dublin-Rückkehrer eine Kettenabschiebung nach Bosnien drohen könnte.

Welche „geltenden Verfahrensweisen“ gibt es bei abschiebenden Poizeirevieren nicht oder sind nicht bekannt, die es erlauben eine 51 kg „schwere“ Frau ohne Jacke, nur mit Ersatzkleidung, die in einen Handrucksack passt, mitten im Winter nach Finnland abzuschieben.  

Was hindert das zuständige Polizeirevier vor einer Abschiebung morgens um 3 Uhr durch einen einzigen Anruf bei den Zuständigen im Sozialamt die betreffende Zimmernummer der abzuschiebenden Personen zu klären.

Ich hoffe für jeden Geflüchteten, dass dieser einen Koffer besitzt und diesen dann auch packen kann. Und ich möchte Jeden anregen, sich einmal Gedanken darüber zu machen, was sich an eigenem Notwendigen in einen Koffer und einen Rucksack Leben packen lässt – morgens um 3, innerhalb einer knappen Stunde!

Mit welchen Rechten lässt es sich vereinbaren, dass Menschen, die Gewalt und Folter in Kroatien erleben mussten, dorthin „zurücküberstellt“ werden? Obwohl ausreichend Tatsachen bekannt sind, dass dort nach wie vor schwere humanitäre Mängel gegenüber Geflüchteten vorliegen.

Welche Haltung hat sich auf Grundlage politischer und medialer Diskussionen gegenüber geflüchteten Menschen gebildet, dass diese als Menschen nicht mehr wertgeschätzt werden? Dass über Sachverhalte diskutiert wird, ohne die Darstellung aller Gesichtspunkte?

So geht man nicht mit Menschen um!
So geht man niemals mit Menschen um!
Denn: Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Danielle Gehr, Weissenburg e.V. – Regenbogen.Refugium

Wir brauchen die Freiheit so sehr, wie die Freiheit uns braucht!
Rede zum IDAHOBITA* 2024

Heute wird weltweit der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interphobie (IDAHOBITA*) gefeiert. Dieser Tag markiert einen bedeutenden Meilenstein im Kampf für die Rechte und die Anerkennung von queeren Personen weltweit.

In Deutschland ist diese rechtliche Gleichstellung von queeren Menschen in den letzten Jahrzehnten deutlich vorangekommen. Die Ehe für Alle, das neue Selbstbestimmungsgesetz und weitere Maßnahmen verbessern die Lage für lesbische, bisexuelle, schwule, trans* und intergeschlechtliche Menschen.

Gleichzeitig findet jedoch in Deutschland, in Europa und auch international eine dramatische Verschiebung der Politik und Gesellschaft ins Rechtspopulistische  und Autoritäre statt. Für queere Menschen bedeutet das, dass ihre Rechte in vielen Staaten eingeschränkt werden, die Gewalt und Verfolgung steigt. Dies zeigen die Beispiele aus Russland, aus Italien, aus Ungarn.

Und die größere Sichtbarkeit von queeren Menschen in Deutschland bedeutet auch hier nicht mehr Sicherheit – im Gegenteil. Laut verschiedener Quellen nimmt die Gewalt gegen queere Menschen auch bei uns deutlich zu.

Wenn aber vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit.

Wenn eine Person wegen ihres Soseins, wegen ihrer Identität beleidigt, diskriminiert und mit Gewalt bedroht wird, ist das eine erhebliche Einschränkung von Freiheit für alle Menschen in diesem Staat.

Ich möchte neben unseren Rechten deshalb heute auch über unsere Pflichten sprechen. Denn es zeigt sich deutlich:

  1. Freiheit ist nicht nur ein Recht, das uns geschenkt ist, sie ist verbunden mit der Pflicht, uns für diese Freiheit einzusetzen
  2. Demokratie gibt es nicht umsonst, es ist unsere Pflicht sie gegen Missbrauch zu schützen
  3. Menschenrechte sind nicht automatisch vorhanden, es ist unsere Pflicht, sie als Maßstab unseres Handelns zu sehen
  4. Menschenrechte gelten nicht automatisch für alle – sie leben dann, wenn wir uns der Solidarität und unserer universalistischen ethischen Grundsätze verpflichtet sehen

Wieso meine ich das?

Solidarität kann nicht wegsehen, wenn eine Person wegen ihrer Identität verfolgt, beleidigt oder diskriminiert werden soll und ich muss keine Verbündete der Person sein, ich muss sie nicht einmal mögen, um gegen diese Ungerechtigkeit einzuschreiten. Wenn ich an die Menschenrechte für alle glaube, muss ich nicht Schwarz sein, um mich gegen Rassismus zu wenden, ich muss keine Frau sein, um Sexismus abstoßend zu finden und ich kann cisgeschlechtlich und heterosexuell sein und queere Rechte verteidigen. Wir alle sind gefordert, in unserer Vielstimmigkeit und in unserem Diskurs im Auge zu behalten, dass wir uns auf etwas Drittes berufen können, das uns eine Richtung vorgibt. Die Gleichheit vor dem Gesetz, soziale und Bildungsgerechtigkeit, gerechte Gesundheitsfürsorge, Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Solidarität können uns helfen, auch für die Zukunft gemeinsam handlungsfähig zu sein. Dafür und für weitere Jahrestage zum 17. Mai, bei denen wir Fortschritte für queere Rechte weltweit konstatieren können, stehen wir heute hier. Diese Rechte werden uns nicht geschenkt, sie werden beschlossen, wenn sich viele Menschen dafür einsetzen. Nur dann verändert sich Politik. Und es gilt für uns alle – „die Rechte der Anderen sind meine Rechte, Wegsehen und sich Wegducken hilft nicht“. Zusammengefasst hat das der evangelische Theologe Martin Niemöller (1) nach dem 2. Weltkrieg für seine eigene Geschichte:

Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Sozialdemokraten einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie mich holten,
gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Martin Niemöller

Mögen wir daraus lernen.

Marion Remmele, Mitarbeitende vom Frauenberatung- und Therapiezentrum Stuttgart

(1) Emil Gustav Friedrich Martin Niemöller (1892-1984) war ein deutscher evangelischer Theologe. Anfänglich stand er dem Nationalsozialismus positiv gegenüber, entwickelte seit 1938 als Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen allmählich zum Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. (Quelle Wikipedia)