Im Zusammenhang mit der von der AG Queere Erinnerungskultur ‚Der Liebe wegen‘ des Weissenburg e.V. initiierten Unterschriftenaktion „Ehrenbürgerschaft für Fritz Bauer – auch als Vorkämpfer gegen das §175-Unrecht“ hieß es im Beitrag „Fritz Bauer Ehre machen!“ von Jan Sellner in der Stuttgarter Zeitung und in den Stuttgarter Nachrichten vom 12.7.2025:

„Sollte Fritz Bauer Stuttgarter Ehrenbürger werden? Antwort: Ja! Ohne Wenn und Aber! Die von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes sowie dem Verein Weissenburg in dem Projekt „Der Liebe wegen“ aufgeworfene und gleichzeitig befürwortete Frage hat nur leider einen Haken: Die posthume Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den 1903 in Stuttgart geborenen und 1968 in Frankfurt am Main verstorbenen großen Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit ist rechtlich nicht möglich. Das geltende Stuttgarter Stadtrecht schließt selbst eine symbolhafte Verleihung des Ehrenbürgerrechts an Verstorbene aus.“

Dass die Rechtslage gar nicht so eindeutig ist und es weder im Stuttgarter Stadtrecht noch in der baden-württembergischen Gemeindeordnung eine Rechtsvorschrift gibt, die den Kommunen eine Verleihung der Ehrenbürgerwürde explizit verbietet, geht aus dem empfehlenswerten Kontextbeitrag „Nazijäger darf nicht Ehrenbürger werden von Oliver Stenzel hervor (Kontext-Wochenzeitung Ausgabe 759). Zur Behauptung, dass die Verleihung der Ehrenbürgerwürde für Fritz Bauer in Stuttgart „rechtlich nicht möglich“ sei heißt es hier:

„Ralf Bogen vom Projekt ‚Der Liebe wegen‘ macht das stutzig. ‚Es gibt bereits einige Fälle einer posthumen Verleihung der Ehrenbürgerwürde‘, sagt Bogen. So verlieh etwa die Stadt Berlin 2002 der einige Jahre zuvor gestorbenen Schauspielerin Marlene Dietrich, auch wegen ihres Engagement gegen die Nazis, die Ehrenbürgerwürde. Und im Mai 2025 verlieh die Stadt Euskirchen die Ehrenbürgerwürde an Willi Graf, der 1943 wegen Verteilens von Flugblättern der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ hingerichtet worden war. Bogen fragte daher im Juli in der Abteilung Grundsatz- und Rechtsangelegenheiten der Stadt Stuttgart nach, welche Rechtsvorschrift genau denn die posthume Verleihung der Ehrenbürgerwürde verbiete. Etwa eine Regelung im Stadtrecht, die es so in Berlin oder Euskirchen nicht gibt? Eine solche konnte ihm bislang jedoch nicht genannt werden.“

Eine Lebendbedingung sei auch in der baden-württembergische Gemeindeordnung nirgendwo im Wortlaut fixiert. Eine posthume Verleihung sei also nicht ausdrücklich verboten. Kontext habe daher bei der Stadt Stuttgart nachgefragt, ob und was für sie aus rechtlicher Sicht gegen eine posthume Verleihung spreche. In der Antwort der Pressestelle sei auf die genannte baden-württembergische Gemeindeordnung verwiesen worden. Voraussetzung für eine Verleihung sei „nach allgemeiner Meinung“, dass die zu ehrende Person noch lebe, da, „es sich um eine reine Ehrenbezeichnung und ein Persönlichkeitsrecht“ handle. Deswegen käme, „eine posthume Verleihung der Ehrenbürgerwürde (…) nach geltender Gesetzeslage in Baden-Württemberg nicht in Betracht.“ Dazu merkte Kontext kritisch an:

„Ist das wirklich so? Die Formulierung ’nach allgemeiner Meinung‚ bezieht sich auf mehrere Titel von Rechtskommentaren, die von der Stadt angeführt werden. Nun handelt es sich bei Rechtskommentaren stets um Interpretationen von schriftlich fixiertem Recht, die so oder so ausfallen können. Nachfrage also: Ist die Lebendbedingung beziehungsweise die nicht in Betracht kommende posthume Verleihung tatsächlich in keiner Rechtsvorschrift explizit festgelegt, und stützt sich die Stadt allein auf die genannten Rechtskommentare? Dies sei ‚korrekt und zutreffend‘, kommt als Antwort von der Pressestelle.“

Diese Antwort der Stadt würde nicht nur wegen der genannten Fälle von Marlene Dietrich und Willi Graf verblüffen, die an keiner juristischen Einschätzung scheiterten. Oliver Stenzel führt auch einen Fall aus Baden-Württemberg an. Dort hatte der Gemeinderat von Spraitbach (Ostalbkreis) im März dieses Jahres am 4. Juni dem wenige Monate zuvor gestorbenen ehemaligen Gemeinderatsmitglied und Ersten Bürgermeister Erich Pommerenke posthum die Ehrenbürgerwürde verliehen. Auch das, was die Stadt Esslingen zu Ehrenbürgerschaften auf ihrer Homepage schreibt, würde anders „als die kategorische Antwort aus der Stuttgarter Rechtsabteilung“ klingen:

Wer das Ehrenbürgerrecht verliehen bekommen kann, ist nur sehr vage geregelt, was den Gemeinden einen großen Handlungsspielraum eröffnet. § 22 der Gemeindeordnung regelt lediglich, dass Gemeinden diejenigen Personen mit dem Ehrenbürgerrecht auszeichnen können, die sich besonders verdient gemacht haben. (…) Für die Stadt Esslingen lassen sich einige Gemeinsamkeiten unter den Ehrenbürgern festmachen. So wurde das Ehrenbürgerrecht beispielsweise noch nie posthum vergeben, zudem waren alle Träger bislang männlich.“

Stenzel kommt daher zu folgender Schlussfolgerung:

„Vielleicht braucht es hier, wie bislang fast immer in der bundesdeutschen Erinnerungskultur, auch ausdauernden Druck aus der Bürgerschaft. Mit der Unterschriftenaktion wolle man jedenfalls, (…) ‚eine breite Debatte in der Stadtgesellschaft anregen und dazu beitragen, Fritz Bauer als mutiges Vorbild noch bekannter zu machen‘. Bis in den Januar 2026 sollen noch Unterschriften gesammelt, beim CSD-Neujahrsempfang am 23. Januar dann die Unterschriften an eine Vertreter:in des Stuttgarter Gemeinderats übergeben werden. Ob die Stadt bis dahin ihre Rechtsauffassung ändert, bleibt abzuwarten.“

Der vollständige Kontext-Artikel kann hier aufgerufen werden.

Siehe auch: