Viele Jahre wurden homosexuelle NS-Opfer nicht als Opfer der NS-Diktatur anerkannt. Anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2023, welchen der Bundestag in einer Gedenkstunde erstmals den queeren NS-Opfern widmet, wollen wir hier in diesem Beitrag uns der Frage widmen, wie es zum Rosa-Winkel-Gedenkstein in der Gedenkstätte des KZ Dachau kam:

Die ehemaligen politisch verfolgten Häftlinge des KZ Dachau, die sich im Comité International de Dachau (CID) zusammengeschlossen haben, lehnten bis 1995 Initiativen für einen Rosa-Winkel-Gedenkstein im Museum der KZ Gedenkstätte ab. In einer von über 1300 Personen unterzeichneten Petition vom 10. Oktober 1985 richteten Münchner Schwulengruppen folgende Frage an das Komitee: „Die jüdische Synagoge, der Gedenkstein der Sinti und Roma und die Darstellung der politischen, rassischen und religiösen Verfolgung im Museum bringen zum Ausdruck, dass dem berechtigten Interesse anderer Häftlingsgruppen an der Dokumentation ihrer Leiden entsprochen wurde. Soll dies für Homosexuelle nicht gelten dürfen?“

Die Münchner Schwulengruppen riefen zur Beteili-gung an der Gedenkfeier zum 42. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau 1987 auf. Sie protestierten, dass der Rosa-Winkel-Gedenkstein damals nicht in der Gedenkstätte angebracht werden durfte.


Max Mannheimer, der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, schrieb rückblickend im November 2015:

„‘Totgeschlagen – Totgeschwiegen‘ – so lautet die Inschrift auf dem Marmordreieck im Gedenkraum des Museums, ‚den homosexuellen Opfern des KZ Dachau‘. Der Stein symbolisiert den rosa Winkel der homosexuellen Häftlinge des Konzentrationslagers […] Während die meisten Überlebenden nach 1945 – zwar schwer traumatisiert von den furchtbaren Erfahrungen im KZ – ein neues Leben in Freiheit beginnen konnten, waren die Befreiten mit dem rosa Winkel immer noch derselben Strafverfolgung ausgesetzt wie
vor 1945. Keine andere Opfergruppe wurde nahtlos so verfolgt wie die Homosexuellen. […]
Seit zwanzig Jahren steht der Stein nun unter dem Dach des Museums der KZ-Gedenkstätte, und es war ein langer, fast zehn Jahre dauernder Weg, bis er dorthin fand. Dieser Weg war gepflastert von einem langen und unwürdigen Streit. Die Homosexuellenverbände wollten ein Ende der Ausgrenzung, wollten, dass bei den Feiern auch die Homosexuellen als ehemalige Opfer genannt werden, dass auch sie Entschädigung erhalten sollten. Denn gelitten und mit dem Tode bezahlt haben alle Verfolgten-Gruppen, gleich welcher Couleur. Die Gegenseite, das CID als Sprachrohr der aus politischen Gründen Verfolgten, legte weiterhin großen Wert darauf, dass ihr Vermächtnis nicht verwässert wird und die herausragende Rolle des Widerstands ungeschmälert bleibt – und es mögen auch viele alte Vorurteile mit eine Rolle gespielt haben.

Im Jahr 1995 ist mir als Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau die Rolle zugefallen, den Streit zu einem friedvollen Ende zu führen. Meine Überzeugung ist es immer gewesen, dass wir alle Opfer waren, die wir wegen der Nazi-Ideologie in das KZ gebracht worden waren. Und ein jeder – gleich welcher Winkelfarbe – hat das Recht, gehört und gewürdigt zu werden. Der Schwur der Überlebenden, „Nie wieder“ solle ein solches Unrecht und eine solche Unmenschlichkeit wieder entstehen, gilt selbstverständlich auch für die Homosexuellen. So sah ich mich verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Rosa-Winkel-Stein endlich aus seinem Exil vom Vorhof der Evangelischen Versöhnungskirche unter das Dach des Museums kommen und sich gleichberechtigt unter all die anderen Verfolgten-Gruppen einreihen soll. Mit Freude konnte ich dann am 18. Juni 1995 in meiner Rede zur Feierstunde der Überführung des Steins zum Ausdruck bringen, dass nun endlich die lange Geschichte der Ausgrenzung ein Ende gefunden hat.“

Quellen (inklusiv der oben dargestellten Abbildungen):
Albert Knoll: Der Rosa-Winkel-Gedenkstein. Die Erinnerung an die Homosexuellen im KZ Dachau. München 2015
Albert Knoll: Das Gedenken an die homosexuellen Opfer – Ein Kampf um die Sichtbarkeit der „stummen Sünde“, https://forummuenchen.org/blog/2020/07/30/kz-dachau-homosexuelle-opfer-kampf-gedenken/, zuletzt gesehen am 10.1.2023.