Im SWR 2 wurde am 25. Januar 2023 der Beitrag „Verfolgt und immer noch unsichtbar – Vom Schicksal queerer NS-Opfer“ von Silke Arning gesendet. Auf der Webseite des SWR2 heißt es hierzu:

„Über 50.000 homosexuelle Männer wurden von der NS-Justiz verurteilt, Tausende von ihnen überlebten die Konzentrationslager nicht. Wegen ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität wurden auch Lesben und Transmenschen von den Nazis verfolgt und terrorisiert. Die Erforschung ihrer Schicksale steckt noch in den Anfängen.

Verfolgt und immer noch unsichtbar – Vom Schicksal queerer NS-Opfer

Sichtbarmachen von Schicksalen

Seit Jahren engagiert sich Ralf Bogen vom Onlineprojekt „Der Liebe wegen“ ehrenamtlich in der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, der ehemaligen Gestapo-Zentrale in Stuttgart. Und so war es ihm ein Anliegen, dass das Schicksal homosexueller, von den Nazis verfolgter Männer dort in der Dauerausstellung des Hauses sichtbar wird.

Eine Onlineseite dokumentiert Schicksale

Das von Friedrich Enchelmayer zum Beispiel. Der Stuttgarter Eisendreher kam aufgrund polizeilicher Sicherheitsverwahrung im Juni 1940 ins KZ Dachau, nachdem er zuvor wegen „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ verurteilt worden war. Nur wenige Monate später erhielten die Angehörigen die Nachricht von seinem Tod. Auf der Online-Seite „Der Liebe wegen“ sind auf einer Gedenktafel viele ähnliche Schicksale dokumentiert.

Studien zur Situation von lesbischen Frauen gibt es wenig

Für frauenliebende Frauen gilt das nicht, berichtet die studierte Historikerin Ute Reisner von der Themengruppe Geschichte im Landesnetzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg: „Deswegen, weil es offiziell keine Verfolgung von Lesben gab in der NS-Zeit. Der Paragraf 175 galt nur für Homosexuelle Männer. Zumindest im Deutschen Reich.“ Dass die Studien zur Situation lesbischer Frauen in der NS-Zeit inzwischen in Gang gekommen sind, ist ein wesentlicher Verdienst der Basisgruppen. Mit beharrlichem Einsatz konnte 2021 ein entsprechendes Forschungsprojekt der Universitäten Heidelberg und Freiburg auf den Weg gebracht werden.

Das Wort „lesbisch“ taucht selten auf

Denn die konkrete Situation der betroffenen Frauen ist schwer zu identifizieren. In den Augen der braunen Machthaber stellten lesbische Frauen zwar keine ernsthafte Gefahr für die „Volksgemeinschaft“ dar, standen aber dennoch unter Beobachtung: „Sie konnten einfach auf vielfältige Weise sozial auffallen. Sie konnten dann in einem anderen Kontext ins Visier der Polizei geraten, sobald das Verhalten eben nicht der Norm entsprach. Und die Norm für weibliches Verhalten war gerade im Nationalsozialismus sehr eng.“ Das Wort „lesbisch“ tauche in den offiziellen Polizeiakten kaum auf, sagt Ute Reisner. Meistens seien die Frauen wegen sog. asozialen, unanständigen Verhaltens oder wegen Kuppelei angeklagt, verurteilt und verhaftet worden.

Keine Unterstützung aus Landesmitteln für Forschungsprojekte

[Anmerkung von „Der-Liebe-wegen“-Redaktion: Von Seiten des Landes Baden-Württemberg wird sowohl eine Studie „LSBTTIQ in Baden und Württemberg. Lebenswelten, Repression und Verfolgung im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Deutschland“ der Universität Stuttgart gefördert, als auch ein Forschungsprojekt der Universitäten Heidelberg und Freiburg zu lesbischen Lebenswelten zwischen 1920 und 1970. Im Rahmen der Studie der Universität Stuttgart wird schon seit vielen Jahren angekündigt, dass endlich auch die Lebensituation trans- und intersexueller Menschen erforscht werden soll. Bislang ist nicht bekannt, wann die Umsetzung erfolgt.]

Ist die Situation frauenliebender Frauen schon schwer zu dokumentieren, so gilt dies umso mehr für die Menschen, die wegen ihrer geschlechtlichen Identität ins Visier der Behörden gerieten. Janka Kluge vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität: „Das ist leider so gut wie noch gar nicht erforscht. Von daher wissen wir so gut wie nichts über die Situation von Transmenschen während des NS“. Ein von der Community angeregtes Forschungsprojekt für Baden-Württemberg wartet auf seine Umsetzung, eine Unterstützung aus Landesmitteln gebe es bislang nicht. 

Bis zum Ende der 60er Jahre fand der „Schwulenparagraph“ Anwendung

Es gibt viele Lücken in der Forschung und noch größere im Gedenken an die queeren Opfer des NS-Regimes. Am Freitag wird Ralf Bogen vom Online-Projekt „Der Liebe wegen“ bei der Gedenkfeier im Bundestag sitzen. Was ihn aufregt: noch immer sei viel zu wenig bekannt, dass homosexuelle Männer auch noch in der Bundesrepublik bis Ende der 1960er Jahre nach Paragraf 175 belangt wurden.

Verbotene Liebe unter Männern – Der Paragraf 175 und seine Folgen

Und erst im letzten Jahr fand eine Gedenkkugel für die lesbischen Frauen und Mädchen im KZ Ravensbrück einen offiziellen Platz in der Gedenkstätte. Für Transmenschen bleibt eine klaffende Wunde: sie sind in der öffentlichen Erinnerung weiterhin unsichtbar.

Die offizielle Gedenkstunde im Bundestag am 27. Januar 2023 stellt erstmals die queeren NS-Opfer in den Mittelpunkt.

dgti – Die Deutsche gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V.