Matinee am Sonntag, den 15. Oktober 2023, um 11 Uhr im Schauspiel Stuttgart, Oberer Schlossgarten 5
Am 10. Oktober 2023 jährt sich die Verlegung der ersten Stolpersteine in Stuttgart-Ost zum 20. Mal. Seit dem 15. März 2023 erinnern mehr als eintausend Stolpersteine im gesamten Stadtgebiet an verfolgte, vertriebene und ermordete Opfer des NS-Regimes.

Darunter sind zwei im April 2010 erfolgte Stolpersteinverlegungen für die aufgrund von §175-Vergehen in Konzentrationslager eingewiesenen NS-Opfer Friedrich Enchelmayer in der Aberlin-Jörg-Str. 13 und Willi App am Leonhardsplatz 15.

Auch die Stolpersteinverlegung für Käthe Loewenthal in der Ameisenbergstraße 32 ist hier zu nennen, zu deren Biografie Claudia Weinschenk schreibt, dass sie aus rassistischen Gründen, nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurde. Sie war jedoch wegen ihrer todkranken Freudin aus ihrem Schweizer Exil zurück nach Stuttgart ins Nazi-Deutschland gezogen. Überlieferte Briefe und Tagebucheinträge lassen den Schluss zu, dass es sich um eine Liebesbeziehung handelte. Nach dem Tod ihrer Freundin konnte Käthe Loewenthal selbst nicht mehr in ein sicheres Land entkommen.

Die vielen Stolpersteinverlegungen in Stuttgart sind Grund genug, auf die Entwicklung dieses Projekts zurückzublicken, nach den Perspektiven der Erinnerungskultur (auch über die Stolpersteine hinaus) zu fragen und natürlich auch angemessen zu feiern. Hierzu veranstalten die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen und die Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber e.V. eine Jubiläumsmatinee, die nicht von ungefähr den Titel „Zukunft braucht Erinnerung“ trägt.

Wir vom Projekt „Der-Liebe-wegen“ unterstützen diese Matinee gerne und danken allen Akteur:innen der Stolpersteininitiativen herzlich für ihr wertvolles Engagement. Wir danken insbesondere Mathias Strohbach, Elke Martin, Rainer Redies und Harald Stingele, die sich auch für die Erinnerung der homosexuellen NS-Opfer engagiert haben. Dafür hat sich eine Zusammenarbeit zwischen Aktiven der Stolpersteiniintiativen und den Stuttgartern LSBTTIQ-Vereinen entwickelt, insbesondere zwischen den in der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber Engagierten von Stolpersteininitiativen und von der Rosa-Winkel-Initiative der Weissenburg e.V., aus der 2016/2017 das Projekt „Der-Liebe-wegen“ hervorgegangen ist. Diese trug mit zum erfolgreichen Kampf um den Erhalt des Hotel Silber (ehemaliger Sitz der Gestapo von Württemberg und Hohenzollern) als Erinnerungsort des NS-Unrechts gegenüber allen Opfergruppen bei.

Foto: Aktive der Stolpersteininitative und der LSBTTIQ-Vereine am Aktionstag der Initaitive Lern- und Gedenkort Hotel Silber in 2014

So viel sei zum Programm verraten: Gabriele Hintermaier und Boris Burgstalter vom Schauspiel-Ensemble werden bei der Veranstaltung auch das Schicksal eines homosexuellen NS-Opfer beleuchten. Mehr zum Programm siehe https://www.stolpersteine-stuttgart.de/wp-content/uploads/2023/07/Programmkarte-20-Jahre-Stolpersteine.pdf.

Stolperkunst für Käthe Löwenthal und Friedrich Enchelmayer:

Familienabend – Hörstück zu Käthe Löwenthal

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Aus einem Facebookbeitrag vom Sportverein Abseitz von 2019 für Willi App:

„Lieber Willi,

zu deinem 100. Wiegenfest wünschen wir dir im Namen von über 800 Abseitz-Mitgliedern aus vollem Herzen alles Liebe und Gute! Es ist toll, dass du dich nach wie vor bester Gesundheit erfreust, und wir sind stolz, dich als jahrzehntelangen Sportskameraden, Freund und Förderer in unserer Mitte zu wissen. Wir sagen Danke für deine Treue und Freundschaft, und freuen uns auf noch viele gemeinsame schöne Jahre mit dir.“ So könnte der Text einer Geburtstagskarte lauten, die wir gerne geschrieben hätten.

Leider haben wir dazu niemals die Gelegenheit bekommen. Der Adressat, Will Karl App, wurde im Oktober 1942 aufgrund seiner Homosexualität verhaftet und am 14. März 1943 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. Willi Karl App stammt aus dem Stuttgarter Leonhardviertel. Mit nur 23 Jahren kam er als „Asozialer“ erst ins KZ Dachau, dann nach Sachsenhausen. Ein halbes Jahr später war er tot.

Alles das, was für uns heute selbstverständlich ist – sich Verlieben, ein gemeinsames Leben mit eine*r gleichgeschlechlichen Partner*in aufbauen, in der eigenen Familie und dem persönlichen Umfeld offen leben zu können, eine offene und solidarische LSBTTIQ-Community in der Mitte der Gesellschaft erleben zu können, rechtlich weitgehend geschützt von Diskriminierung und Gewalt zu sein – wurde ihm verwehrt. Willi hatte niemals die Gelegenheit, sich für seine Rechte einzusetzen, konnte den Kampf um Akzeptanz und Gleichberechtigung nicht mehr erleben, ja selbst das Recht auf Leben wurde ihm abgesprochen. Für eine Rehabilitation ist es zu spät. Von Willi ist nichts mehr da – keine Grabstätte, kein Foto, keine Familie. Nur noch ein kleiner unscheinbarer Stolperstein mit seinem Namen erinnert daran, dass es ihn jemals gegeben hat, in der Lazarettstraße im Stuttgarter Leonhardviertel, unweit der Abseitz-Geschäftsstelle.

Willi Karl App wäre heute 100 geworden. Wir können das nicht mehr mit ihm feiern, aber wir können ihn ehren, ihm als einem der Unseren gedenken, die Erinnerung an ihn und alle die, die wie er von einer feigen, lebensverachtenden Gesellschaft ermordet wurden, hochhalten.
Ihn zu vergessen wäre ein Verbrechen. Und so können wir ihm nur noch zusichern, dass wir weiterhin kämpfen, dass wir uns auch 2019 und darüber hinaus mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sich diese Geschichte niemals und nirgends wiederholt, dass alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrer geschlechtlichen Identität frei und offen und in Frieden leben können.

Das ist unser Versprechen an Willi App.

(Quelle: https://www.facebook.com/profile/100063713823114/search/?q=App)