Viele Jahre nach 1945 musste um die Anerkennung des Leids queerer NS-Opfer gekämpft werden. Diesem Kampf widmen wir eine extra Veranstaltung im „Hotel Silber“, dem ehemaligen Sitz der Gestapo von Württemberg und Hohenzollern in der Dorotheenstraße 10 in Stuttgart am 22. Januar 2023 – siehe https://der-liebe-wegen.org/der-lange-kampf-um-anerkennung-als-ns-opfer/. 78 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus wird der Bundestag in seiner Gedenkstunde an die Opfer der NS-Diktatur am 27. Januar 2023 erstmals queere NS-Opfer im Mittelpunkt stellen. Wir veröffentlichen hier die vom Deutschen Bundestag dazu herausgegebene Pressemitteilung:

Bundestag gedenkt am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus: Verfolgte sexuelle Minderheiten im Mittelpunkt der Gedenkstunde

Am Freitag, 27. Januar 2023, gedenkt der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. Die Gedenkstunde im Plenarsaal beginnt um 10 Uhr mit einer Ansprache der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Im Mittelpunkt stehen in diesem Jahr Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Dazu werden mehrere Rednerinnen und Redner das Wort ergreifen. 

Als erste wird die Holocaust-Überlebende Rozette Kats sprechen. 1942 in einer jüdischen Familie geboren, überlebte sie bei einem Ehepaar in Amsterdam, das sie als ihr eigenes Kind ausgab. Ihre leiblichen Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Erst später im Leben nahm sie ihre wahre jüdische Identität an. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biographie setzt sie sich auch für sexuelle Minderheiten ein.

Im weiteren Verlauf der Gedenkstunde wird die nationalsozialistische Verfolgung sexueller  Minderheiten anhand zweier Lebensgeschichten vorgestellt.

Der Schauspieler Jannik Schümann wird einen Text über Karl Gorath (1912-2003) lesen. Karl Gorath wurde erstmals 1934 mit 22 Jahren nach §175 verurteilt. Nach erneuter Anzeige 1938 erfolgte eine Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus. Nach deren Verbüßung wurde er 1943 ins Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg in „polizeiliche Vorbeugungshaft“ genommen und von dort im Juni 1943 in das KZ Auschwitz (Stammlager) deportiert. Nach seiner Befreiung im KZ Mauthausen wurde er 1946 in  Bremen von demselben Richter verurteilt, der ihn bereits 1938 bestraft hatte. Als Vorbestrafter fand er nur schwer Arbeit und geriet in Armut. Er verstarb 2003 in Bremerhaven.

Die Schauspielerin Maren Kroymann wird einen biographischen Text zu Mary Pünjer (1904-1942) vortragen. Mary Pünjer wurde 1904 in einer jüdischen Hamburger Kaufmannsfamilie geboren. 1940 wurde sie als verheiratete Frau unter dem Vorwand der „Asozialität“ als „Lesbierin“ verhaftet. Nach ihrer Verurteilung wird sie im KZ Ravensbrück interniert. Dort wurde sie Anfang 1942 offenkundig aufgrund der ihr unterstellten lesbischen Neigung und ihrer jüdischen Herkunft für die Mordaktion „Aktion 14f13“ selektiert. Im Frühjahr 1942 wurde Mary Punjer in der als Gasmordanstalt genutzten „Landes-Heil- und Pflegeanstalt“ Bernburg (Saale) ermordet.

Im letzten Teil der Gedenkstunde wird Klaus Schirdewahn als Vertreter der queeren Community das Wort ergreifen. Er wird – vor dem Hintergrund seiner Verhaftung 1964 nach dem §175 – über die Bedeutung des Gedenkens an die im Nationalsozialismus verfolgten sexuellen Minderheiten sprechen. 

Die Sängerin Georgette Dee und der Pianist Tobias Bartholmeß werden die Gedenkstunde musikalisch begleiten.

An der Gedenkstunde nehmen neben den Bundestagsabgeordneten auch Vertreterinnen und Vertreter der Verfassungsorgane sowie junge Menschen teil, die sich an der diesjährigen Jugendbegegnung des Deutschen Bundestages beteiligen. 

Nach der Gedenkstunde findet zudem im Rahmen der Jugendbegegnung eine Podiumsdiskussion mit Bundestagspräsidentin Bas, Rozette Kats und Klaus Schirdewahn statt (Beginn 12 Uhr, Jakob-Kaiser-Haus, Saal 1.302).

Neben Workshops und Diskussionen besichtigen die Jugendlichen die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück sowie das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten. Zudem stehen Workshops zur Nutzung sozialer Medien zum Lernen und Gedenken auf dem Programm der diesjährigen Jugendbegegnung.

Hinweis:
Medienvertreter benötigen zur Berichterstattung eine gültige Akkreditierung des Bundestages. Informationen dazu finden Sie unter www.bundestag.de/akkreditierung.